Die wehrhafte Braut: Roman (German Edition)
auf der anderen Seite des Burggrabens zeichnete sich für wenige Augenblicke eine schwarze Gestalt im Nebel ab. Gleich darauf schob sich eine Wolke vor den Mond, und alles versank in Finsternis.
Er blinzelte und wischte sich die Augen. Das Licht der Laternen im Raum war niedergebrannt und flackerte – hatte eine Geistererscheinung ihn genarrt? Oder war es ein Tier gewesen?
Er starrte hinaus, wartete ungeduldig, dass der Mond sich wieder zeigen würde – dann sah er es.
Sie musste durch den Graben gestiegen sein, denn das feuchte Gewand klebte an ihren Beinen. In den Händen hielt sie einen riesigen Bogen, der Pfeil war auf die Sehne gesetzt und – er kniff die Augen zusammen, doch der Nebel ließ das Bild zerfließen. Was, zum Teufel, hatte diese Verrückte vor? Wollte sie etwa zu seinem Fenster hinüberschießen? Mit diesem Bogen? Sie würde dieses gewaltige Teil nicht einmal spannen können.
Gleich darauf schwirrte der Pfeil heran, und er konnte gerade noch rechtzeitig beiseitespringen. Das Geschoss streifte das Fenstersims und wurde von dort zur Decke des Raumes abgelenkt. Ein dunkler Faden hing an dem Ende des Pfeils.
Unglaublich! Er wusste nicht recht, ob er wütend oder stolz auf sie sein sollte. So eine kleine Teufelin!
Er zog an dem Faden und richtig, an das Ende hatte sie ein kräftiges Seil aus ineinandergedrehten Ledersträngen geknüpft. Er band es um den Fensterladen, zog fest daran, um zu prüfen, ob es auch hielt, und warf dann einen prüfenden Blick aus dem Fenster. Rodena war nicht mehr zu sehen, sie hatte sich irgendwo im Nebel verborgen. Gut so.
Er brauchte nicht lange für den Abstieg, schürfte sich ein wenig die Hände auf, doch das war gleichgültig. Unten presste er sich gegen die Mauer und wartete, bis der Mond sich verborgen hatte. Dann stieg er durch das kalte, schlammige Wasser des Grabens und hoffte, dass keiner der Turmwächter auf ihn aufmerksam wurde.
»Wir haben es geschafft«, hörte er sie leise jubeln. Dicht neben ihm tauchte sie aus dem Dunst auf, stolz wie ein Knappe, der seinen ersten Schwertkampf gewonnen hat. Er hätte sie gern übers Knie gelegt und verprügelt, doch dazu war jetzt keine Zeit.
»Weg hier!«, sagte er und fasste ihre Hand, um sie mit sich fortzuziehen.
Es musste nahe an Mitternacht sein – bald würde die Wachablösung im Kerker erfolgen, dann würde man ihre Flucht entdecken. Noch schützte sie die Dunkelheit, doch sie mussten die Ebene noch in dieser Nacht durchqueren und die Berge erreichen, wo sie sich vor Malcolms Rittern verstecken konnten. Rodena vertraute auf Ewans Orientierungsvermögen und lief hinter ihm her, das Gewand gerafft, denn trotz der Eisenkette an seinem Fuß musste sie sich anstrengen, mit ihm Schritt zu halten.
Die Angst vor den Verfolgern ließ ihre Kräfte anwachsen, kaum spürte sie das harte Gestein unter ihren Füßen, nur ihr Atem ging rasch, und der Nebel legte sich mit kühler Feuchte auf Gesicht und Hände.
Nach einer Weile blieb Ewan stehen und wandte sich zu ihr um.
»Ich trage dich ein Stück«, schlug er vor.
Doch sie schüttelte den Kopf. Solange sie noch laufen konnte, würde sie sich nicht wie ein kleines Kind herumschleppen lassen.
»Dickköpfig wie immer«, knurrte er unzufrieden.
Sie setzten den Weg fort, gingen jetzt nebeneinander her, und Ewan fasste sie besorgt am Arm, wenn man über Geröll und dicke Steinbrocken steigen musste. Meist erkannten sie die Hindernisse erst kurz, bevor sie davorstanden, denn nur selten hellte der Mond die neblige Finsternis ein wenig auf.
»Wie bist du überhaupt aus der Burg herausgekommen?«, wollte er wissen.
»Ich bin aus dem Fenster der Kemenate geklettert und habe mich an dem Seil heruntergelassen. Dann hat Bonnie das Seil gelöst und es zu mir herabgeworfen«, erzählte sie eifrig.
Das hatte er schon vermutet.
»Das war verdammt leichtsinnig«, tadelte er. »Die Kemenate liegt viel höher als der Kerker. Wenn das Seil nun gerissen wäre. Oder wenn du abgerutscht wärest!«
»Und wenn, und wenn, und wenn...«, wiederholte sie schulterzuckend.
Gleich darauf musste er sie rasch um die Taille fassen, sonst wäre sie auf dem losen Geröll gestürzt. Keuchend blieb sie stehen und lehnte sich an ihn.
»Wir können nicht rasten«, murmelte er und strich ihr zärtlich das feuchte Haar aus der Stirn. »Ich werde dich jetzt doch eine Weile tragen.«
Seufzend fügte sie sich und musste sich eingestehen, dass sie so rascher vorankamen. Es tat gut, den Kopf
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