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Die Weimarer Republik

Die Weimarer Republik

Titel: Die Weimarer Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Mai
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ihn faktisch stärker als den Reichstag. Und er berief den Reichskanzler sowie auf dessen Vorschlag die Minister, die dann des Vertrauens des Reichtages bedurften. Die Regierung benötigte also ein doppeltes Vertrauen, des Präsidenten wie des Parlamentes.
    Dieses System der wechselseitigen Kontrolle der Verfassungsorgane konnte nur funktionieren, solange diese handlungsfähig waren und kooperierten. Andernfalls kam es zur Blockade. Für diesen Fall verfügte der Reichspräsident mit Art. 48 der Reichsverfassung über eine Art «Reserveverfassung». Diese gab ihm die Möglichkeit, bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit den Ausnahmezustand zu verhängen und per Notverordnung zu regieren. Seine außerordentlichen Rechte leiteten sich auch aus dem Oberbefehl des Reichspräsidenten über die Reichswehr ab, da eine Reichsexekution oder das Vorgehen gegen «erhebliche» Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung «erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht» erfolgen musste. Die potentielle Bedeutung dieses Notstandsrechtes erkannte die Mehrheit der Nationalversammlung nicht. Zwar konnte der Reichstag Maßnahmen des Reichspräsidenten aufheben – aber nur, wenn er selbst handlungsfähig war. Die präsidiale «Diktaturgewalt» wurde bereits in der Inflation auf wirtschaftliche Notstände ausgedehnt. Sie konnte jetzt auch geltend gemacht werden, wenn nicht der Staat insgesamt gefährdet, sondern eine wichtige Staatsaufgabe nicht mit den Mitteln der regulären Gesetzgebung zu erfüllen war.
    Das Misstrauen gegenüber dem Parlament äußerte sich zudem in der Aufnahme plebiszitärer Elemente einerseits, korporativistischer Ergänzungen andererseits. Erstere waren Ausdruck der unmittelbaren Volkssouveränität. Da der Reichspräsident das Recht hatte, jedes vom Reichstag beschlossene Gesetz zum Volksentscheid zu bringen, wurde die Souveränität des Parlamentes als Repräsentant des Volkswillens eingeschränkt. Ebenso konnte ein Drittel der Reichstagsabgeordneten das Inkraftsetzen eines Gesetzes aufschieben und, sofern 5 % derStimmberechtigten das bejahten, einem Volksentscheid unterwerfen. Ein Volksbegehren konnten 10 % der Stimmberechtigten in die Wege leiten. Das korporativistische Element sollte auf berufsständischer Ebene die «wahren» Interessen des Volkes repräsentieren und in einer Hierarchie von Arbeiter- und Wirtschaftsräten bis zum Reichswirtschaftsrat organisieren. Dieser war am Gesetzgebungsprozess zu beteiligen, gutachterlich wie mit eigenem Initiativ- und Vertretungsrecht gegenüber dem Reichstag. Doch kam dieser Strang über den einflussarmen «Vorläufigen» Reichswirtschaftsrat nie hinaus.
    Die Verfassung war ein «offener Kompromiss», der das relative Gleichgewicht zwischen den bürgerlichen und den Arbeiterparteien im Wahlergebnis von 1919 widerspiegelte und der eine Entwicklung nach beiden Seiten offenließ: zu einer sozialen, pluralistischen Republik oder zur autoritären, präsidialen Herrschaft. Das spiegelte sich auch im Grundrechtskatalog wider, der auf Verlangen der Volksbeauftragten eingefügt und von der Nationalversammlung erweitert wurde. Der Katalog war in fünf Teile gegliedert: Einzelperson, Gemeinschaftsleben, Religion und Religionsgesellschaften, Bildung und Schule sowie Wirtschaftsleben. Waren das eine die klassischen Menschen- und Bürgerrechte, so das andere Verfassungsaufträge, die den unterschiedlichen Interessen der Parteien entsprachen. Sie ließen eine geschlossene Konzeption vermissen; aber sie ermöglichten Reformen, ohne sie jedoch unmittelbar zu bewirken. Schon dass die Grundrechte nicht Grundlage der Verfassung waren, war bezeichnend. Bedeutsamer wurde, dass sie durch Notverordnung außer Kraft gesetzt werden konnten und, wie die Verfassung insgesamt, der Veränderbarkeit durch eine Zweidrittelmehrheit unterlagen. Dennoch wurden im Abschnitt zum Wirtschaftsleben die Grundzüge des Sozialstaates erkennbar: «Gerechtigkeit» als Grundlage «eines menschenwürdigen Daseins», Zusage der Sorge für den «notwendigen Unterhalt», wenn eine «angemessene Arbeitsgelegenheit» nicht bereitstand, Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums, Verpflichtung zur Schaffung eines Arbeitsrechts und eines Sozialversicherungssystems, Mitbestimmung durch Arbeiter- und Wirtschaftsräte.
    Doch manches, was als zukunftweisendes Reformversprechen erschien, diente eher dazu, die Revolution zu beenden. Der Rat der Volksbeauftragten hatte am 18. November 1918 die

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