Die weise Frau
anerkennend über das Kompliment.
»Weil ich nicht aus freien Stücken gekommen bin«, sagte Morach unumwunden. »Sie sind vor meine Hütte geritten und haben mich aus dem Garten gezerrt. Sie sagten, es geschähe auf Euren Befehl. Es steht mir also frei zu gehen, wenn ich will?«
Catherine war etwas entsetzt. »Ich habe nicht...«, begann sie. »Nun ja... Aber Morach, die meisten Frauen wären froh, wenn sie ins Schloß kommen, mit meinen Hofdamen leben und gut essen könnten und in einem Bett schlafen.«
Morach grinste unter ihren dichten grauen Haaren. »Ich bin nicht ›die meisten Frauen‹, Mylady«, sagte sie genüßlich. »Ich bin ganz anders als die meisten Frauen. Also wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr mir sagen würdet: Kann ich gehen und kommen, wie ich will?«
Alys holte Luft und wollte sie unterbrechen, doch dann zögerte sie. Morach konnte riskieren, was sie wollte, offensichtlich wollte sie mit Lady Catherine feilschen. Sie ließ Morach allein mitten im Zimmer stehen, setzte sich neben Eliza und betrachtete ihre Stickerei.
»Natürlich steht dir das frei«, sagte Lady Catherine. »Aber ich brauche deine Hilfe. Ich habe keine Mutter und keine Familie, die mir raten kann. Jeder sagt mir, du wärst die Erfahrenste im ganzen Land bei der Geburtshilfe und zur Beschwörung von bösen Geistern. Stimmt das?«
»Das mit den bösen Geistern nicht«, sagte Morach frech. »Das ist nur Verleumdung und Giftgeschwätz. Ich verstehe nichts von Flüchen und Zaubersprüchen. Aber ich bin eine Heilerin und kann Kinder schneller als die meisten zur Welt bringen.«
»Wirst du meines zur Welt bringen?« fragte Lady Catherine. »Wenn er im Oktober geboren wird? Versprichst du mir, im Oktober einen gesunden Sohn zur Welt zu bringen?«
Morach grinste. »Wenn Ihr im Januar einen gesunden Sohn empfangen habt, kann ich ihn im Oktober zur Welt bringen. Ansonsten... wahrscheinlich nicht.«
Lady Catherine beugte sich vor. »Ich bin mir sicher, daß ich einen Sohn empfangen habe. Kannst du das feststellen? Kannst du mir das versichern? Alys hat gesagt, es wäre ein Junge, kannst du das bestätigen, ohne jeden Zweifel? Kannst du feststellen, ob er gesund ist?«
Morach nickte, rührte sich aber nicht von der Stelle. »Ich kann feststellen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. Und später kann ich sagen, ob es richtig liegt.«
Lady Catherine winkte sie zu sich.
»Wenn ich will«, sagte Morach, ohne sich zu bewegen. »Ich kann das Geschlecht eines Kindes feststellen — wenn ich will.«
Ein Raunen des Entsetzens ging durch den Raum. Ruth schaute kurz zu Alys, um zu sehen, wieviel Angst ihr die Kühnheit ihrer Verwandten machte. Alys' Gesicht zeigte keinerlei Regung. Sie wußte, daß Morach immer gnadenlos mit ihren Kunden feilschte, und Lady Catherines Haß auf Alys konnte kaum noch größer werden.
»Alys, sag deiner Verwandten, sie soll ihre Zunge hüten, sonst lasse ich sie den Hunden vorwerfen«, sagte Lady Catherine warnend.
Alys hob den Kopf von Elizas Stickerei und lächelte Lady Catherine ohne eine Spur von Furcht an. »Ich kann ihr nicht befehlen, Mylady«, sagte sie. »Sie wird sagen und tun, was ihr gefällt. Wenn Ihr sie nicht mögt, solltet Ihr sie nach Hause schicken, es gibt viele weise Frauen im Land. Morach ist nichts Besonderes.«
Bei dieser Spitze zog Morach kurz eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.
Lady Catherine hob irritiert die Schultern. »Was willst du denn?« fragte sie Morach. »Was willst du dafür haben, daß du mir das Geschlecht des Kindes sagst und mich in den Monaten des Wartens pflegst und mir einen Jungen zur Welt bringst?«
»Einen Schilling im Monat«, sagte Morach. Sie zählte ihre Forderungen an den Fingern ab. »Bier und Essen, soviel ich will. Und das Recht, im Schloß aus und ein zu gehen ohne Behinderung und Fragen, Tag und Nacht.«
Lady Catherine mußte wider Willen lachen. »Du bist eine alte Schacherin«, sagte sie. »Ich hoffe, du bringst Kinder genausogut zur Welt, wie du feilscht.«
Morach bedachte sie mit einem bedächtigen, finsteren Lächeln. »Und einen Esel, damit ich zu meiner Hütte reiten kann, sooft ich will«, fügte sie hinzu.
Lady Catherine nickte.
»Sind wir uns einig?« fragte Morach.
»Ja«, bestätigte Catherine.
Morach trat vor, spuckte in die Hand und streckte sie Catherine entgegen. Ruth, die zu ihren Füßen saß, wich zurück, als hätte sie Angst, sich anzustecken, doch Lady Catherine beugte sich zu Alys' Überraschung vor und drückte
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