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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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ist nicht sicher«, sagte sie streng. »Du darfst sie nicht in deiner Nähe haben, wo sie deine Stimme hören, deinen schlimmsten Gedanken lauschen. Gibt es denn nirgendwo ein Versteck für sie?«
    Alys schüttelte den Kopf und überlegte. »Ich bin nie allein!« sagte sie erbost. »Tag und Nacht ist jemand bei mir. Selbst wenn ich im Kräutergarten bin, ist ständig jemand in meiner Nähe, ein Diener, ein Gärtner oder einer der Küchenjungen.«
    Morach nickte. »Versteck sie irgendwo, wo es stinkt«, riet sie. »Im Schloßmisthaufen oder in einer Latrine. Irgendwo, wo nicht einmal ein neugieriges Kind nachschaut.«
    »Außen an der Garderobe!« rief Alys. Sie zeigte in die Ecke des Raums, in der ein rundes Loch in der Wand war, mit einem Holzdeckel. »Dort kann man sich erleichtern«, sagte sie. »Und der Kot fällt in den Graben. Dort würde keiner suchen. Ich kann sie an einem Stück Schnur unter den Sitz hängen.«
    Morach beäugte die Vorrichtung. »Das geht«, sagte sie. »Mit der Zeit werden sie dreckig und modrig. Keiner wird sie sehen.«
    »Ich bin froh, daß du da bist«, gestand Alys. »Jetzt werde ich heißes Wasser für dich bringen lassen. Du mußt baden.«

13
    Morach wehrte sich heftig gegen das Baden. Sie wollte sich nicht nackt vor Alys ausziehen und war überzeugt, das Wasser würde sie krank machen.
    »Du riechst«, sagte Alys unverblümt. »Du stinkst widerlich, Morach. Lady Catherine wird dich nicht in ihrer Nähe dulden, solange du so stinkst, schlimmer als ein Misthaufen im August.«
    »Dann kann sie mich in meine Hütte zurückschicken«, schimpfte Morach, als die Diener mit der großen Wanne und den Kannen mit heißem Wasser die Treppe heraufkamen. »Ich hab nicht darum gebeten, daß irgendein Tölpel von Mann durch meinen Garten reitet und mich entführt, damit ich einer Frau bei der Geburt eines Kindes helfe, das gerade erst gezeugt worden ist.«
    »Ach, halt den Mund«, sagte Alys ungeduldig. »Wasch dich, Morach. Von oben bis unten. Und die Haare auch.«
    Sie überließ Morach dem dampfenden Bad, und als sie zurückkam, saß Morach in ein Bettlaken gewickelt am Feuer.
    »Leute sterben vom Naßwerden«, sagte sie grimmig.
    »Vom Dreck auch«, erwiderte Alys. »Zieh das an.«
    Sie hatte ein schlichtes grünes Kleid für Morach besorgt, das Kleid einer Arbeiterin, ohne Mieder und Überrock, und als sie angezogen und der Gürtel gebunden und ein halber Meter Stoff zu einem dicken Saum hochgenäht war, sah sie ganz anders aus.
    »Wie alt bist du, Morach?« fragte Alys neugierig. Solange sie denken konnte, war Morach für Alys immer gleich alt gewesen. Immer schon mit gebeugtem Rücken, immer schon grau, immer schon faltig, immer schon dreckig.
    »Alt genug«, sagte Morach ungnädig. »Ich setz diese verdammte Kappe nicht auf.«
    »Dann kämm ich dir wenigstens die Haare«, sagte Alys.
    Morach schubste sie weg. »Hör auf, Alys«, sagte sie. »Ich mag vielleicht fern von meinem eigenen Herd sein, aber ändern werde ich mich nicht. Ich will nicht, daß du mich anfaßt, ich will dich nicht anfassen. Ich bin ein Igel, kein Kaninchen. Faß mich nicht an, dann wirst du auch nicht gestochen.«
    Alys schrak zurück. »Du wolltest nie, daß ich dich anfasse. Selbst als ich noch ein kleines Mädchen war. Selbst als Baby hättest du mich wahrscheinlich nicht angefaßt, wenn du es nicht gemußt hättest. Ich kann mich nicht erinnern, je auf deinen Knien gesessen zu sein. Ich kann mich nicht erinnern, daß du je meine Hand gehalten hast. Du bist eine kalte Frau, Morach, und hart. Und du hast mich aufgezogen mit dieser ständigen Sehnsucht nach ein bißchen Zärtlichkeit.«
    »Aber du hast sie doch gefunden, oder?« fragte Morach ohne eine Spur von Reue. »Du hast doch die Mutter gefunden, die du wolltest?«
    »Ja«, mußte Alys zugeben. »Ja, ich habe sie tatsächlich gefunden. Und ich danke Gott, daß ich sie gefunden habe, ehe ich mich aus Dankbarkeit Tom an den Hals geworfen hatte.«
    Morach strahlte. »Und wie hast du ihr diese Liebe gedankt?« fragte sie. »Was für eine Tochter warst du denn, Alys?«
    Alys drehte ihr aschfahles Gesicht Morach zu. »Nicht!«
    »Nicht?« fragte Morach bewußt begriffsstutzig. »Was, nicht? Ich soll wohl nicht sagen, daß dir diese Liebe so viel bedeutet hat, daß du bei der ersten Nase voll Rauch wie eine verbrühte Katze davongestoben bist? Dich nicht daran erinnern, daß du sie mit all deinen Schwestern verbrennen hast lassen, während du schnell nach Hause gerannt

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