Die weise Frau
Hälse, um zu hören, was Alys und der alte Lord zu flüstern hatten.
»Ach, geh deiner Wege«, sagte er leutselig. »Ich werde dir den lustigen Abend mit dieser Meute ersparen. Geh jetzt auf dein Zimmer, aber das nächste Mal mußt du wieder bei den albernen Gänsen sitzen.«
Alys machte einen Knicks und verschwand durch die gobelinverhangene Tür. Sie begegnete Elizas Blick und erinnerte sich an ihr erstes Abendessen im Schloß, als sie ihr gesagt hatte, daß keiner vor dem Lord gehen konnte.
»Ich bin jetzt viel besser dran als damals«, sagte sich Alys grimmig. Sie stieg die Treppe zur Damengalerie hoch, stieß die Tür auf und zog sich einen Stuhl ans Feuer. »Ich habe es jetzt viel besser als damals in Morachs häßlicher Hütte.« Sie warf noch ein Scheit ins Feuer und beobachtete, wie die Funken flogen. »Ich habe sie gezwungen, mich als das zu betrachten, was ich bin«, sagte sie sich trotzig. »Ich bin als Niemand hierhergekommen, und jetzt nennen sie mich Mistress Alys.«
Die Stille des Raums bedrückte sie. »Ich habe sie gezwungen, mich als das zu betrachten, was ich bin«, sagte Alys wieder. Sie schwieg einen Augenblick und sah in die Flammen.
»Sie betrachten mich als seine Hure«, sagte sie leise. »Heute bin ich Hugos Hure geworden. Und jeder weiß es.«
24
Alys war allein im Schlafzimmer, als die Anderen zurück in die Galerie kamen. Sie hörte sie reden und lachen. Sie saß an ihrem kleinen Kamin, die Tür fest geschlossen, und hörte, wie sie Karten spielten, während Eliza sang. Dann verstummte das Geplapper allmählich, die Frauen zogen sich eine nach der Anderen zurück. Alys horchte auf Hugos Stimme und hörte, wie er einer von ihnen gute Nacht nachrief. Sie saß an ihrem Kamin und wartete.
Er kam nicht.
In den frühen Morgenstunden, als die Finsternis noch undurchdringlich war und der Mond im Westen unterging, wickelte sich Alys in einen Schal und schlich zur Tür. Sie öffnete sie und lugte hinaus. Das Feuer in der Galerie war längst erloschen, die Asche erkaltet. Catherines Tür war geschlossen. Es war nichts zu hören.
Alys blieb einen Augenblick am Kamin stehen und erinnerte sich an den Tag, als sie hier gesessen und sich vor Sehnsucht nach Hugo verzehrt hatte, und wie er aus Catherines Zimmer gekommen war, den Arm um sie gelegt hatte und ihr sagte, daß er sie liebte. Das war lange, lange her. Vor Morachs Tod, bevor ihre abgründigen Zauberkräfte von ihr Besitz ergriffen hatten, bevor sie ihm die Wollüstige vorgespielt hatte und er sie beim Wort genommen hatte. Sie schlich zu Catherines Tür und drehte vorsichtig die Klinke. Sie öffnete sie einen Spalt und hörte tiefes, gleichmäßiges Atmen. Sie glitt wie ein Geist durch die Tür. Der Raum war dunkel. Alys blinzelte und versuchte, etwas zu erkennen.
In dem großen, hohen Bett lag Catherine auf dem Rücken, ihr dicker Bauch machte einen Berg aus der Decke. Ein Arm lag ausgestreckt über ihrem Kopf. Im anderen Arm hielt sie den Mann, der neben ihr lag. Alys kam ein bißchen näher, um besser sehen zu können. Es war Hugo. Er schlief tief und fest, das Gesicht an Catherines Hals vergraben, den Arm besitzergreifend über ihren Leib gelegt. Sie lagen da wie ein glückliches Ehepaar. Wie ein Liebespaar. Alys beobachtete, ohne sich zu bewegen, wie die beiden stetig und friedlich atmeten. Sie sah sie an, als wolle sie den Atem aus ihren Körpern nehmen und sie mit der Gewalt ihrer Eifersucht und ihrer Enttäuschung vernichten. Hugo regte sich im Schlaf und sagte etwas.
Es war nicht Alys' Name.
Catherine lächelte — selbst in der Dunkelheit sah Alys die stille Freude von Catherines verschlafenem Lächeln — und drückte ihn fester an sich.
Leise schloß Alys die Tür hinter sich und schlich durch die leere, kalte Galerie zurück in ihr eigenes Zimmer, schloß die Tür hinter sich, zog ihren Stuhl ans Feuer, wickelte sich in den Schal und wartete auf das Licht.
In der Dämmerung, als der fahle Horizont schon den kommenden Sonnenschein ankündigte, ging Alys und öffnete ihre Truhe. Tief unten steckte Morachs alter Beutel mit Knochen — die Runen.
Alys sah sich um. Ihre Tür war geschlossen, im Schloß regte sich noch keiner. Sie schaute durch das Schießschartenfenster. Im Morgendunst sah sie silbrig den Fluß liegen. Und während sie noch hinunterschaute, hoben sich die Dunstschwaden und bauschten sich auf. Eine von ihnen sah aus wie eine Frau, eine alte Frau mit grauem Haar und einem Schal um die Schultern.
»Nein«,
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