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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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seinen Sohn. Das ist doch wohl sicher genug, oder etwa nicht?«
    Eliza hob ratlos die Schultern und hielt Alys' Kräutersack, während der Bursche ihr in den Sattel half. »Er ist launisch«, sagte sie noch einmal. »Eine Frau, die als Hure lebt, sollte einen großen Beutel Ersparnisse haben. Du bist sehr hoch aufgestiegen, Alys, aber ich glaube, jetzt fällst du wieder.«
    »Für dich immer noch Mistress Alys«, herrschte sie Eliza an. Sie schüttelte die Röcke ihres roten Kleides aus, glättete den reich bestickten Überrock und nahm die Zügel auf. Sie schaute auf Eliza herab, als wäre die ein Bettler und sie selbst eine feine Dame. »Für dich bin ich immer noch Mistress Alys«, sagte sie noch einmal.
    Eliza schien das nicht sonderlich zu berühren. »Nicht mehr, glaube ich«, sagte sie. »Ich glaube, dein Stern ist am Untergehen, Alys.«
    Alys riß mit grimmigem Gesicht das Pferd herum und trieb es in Richtung Burgtor. Die Soldaten salutierten mit ihren Hellebarden, als sie sie passierte, aber Alys schaute weder nach links noch nach rechts. Sie spornte die Stute an, den kleinen Hügel von Castleton hinunter und dann an den Klippen am Fuß des Burgfelsens vorbei, über den Fluß und hinauf ins Moor. Sie zügelte das Pferd erst, als sie auf der anderen Seite des Flusses waren und es bereits außer Atem war. Grau und majestätisch lag das Schloß von hier im sommerlichen Licht. Alys starrte es an, als wolle sie es verschlingen, das ganze Gebäude hinunterwürgen, mit Lords und Dienern und Mann und Maus, um ihren Hunger zu stillen.
    Dann wendete sie das Pferd und machte sich auf den Weg ins Moor.
    Sie hatte nicht vorgehabt, zu Morachs Hütte zu reiten, sie war vom Schloß aus nach Westen geritten, zum Moor, ohne nennenswerte Absicht. Der Kräutersack war eine Ausrede gewesen, aber als die Hecken am Straßenrand aufhörten und das Land wilder wurde, sah Alys einen kleinen Buschen Anemonen neben der Straße wachsen und hielt das Pferd an. Sie glitt aus dem Sattel, pflückte die Blumen, wickelte sie in Blätter und ging dann, das Pferd am Zügel hinter sich herführend, durch das Feld auf den Fluß zu und suchte das dichte Wiesengras nach weiteren brauchbaren Kräutern und Blumen ab.
    Der Fluß hatte seinen sommerlichen Tiefstand erreicht und wand sich träge zwischen den Felsblöcken dahin, bildete stille, braune Teiche, verschwand durch die Risse im Flußbett und quoll ein paar Meter weiter als schmales Rinnsal wieder hervor. Ein Wasserläufer flog aus dem Teich auf, mit klarem, süßem Lied. Weiter flußabwärts hatte das Wasser sicher Morachs Grab freigegeben, ihr Körper würde jetzt, von Fliegen geplagt, verwesen. Alys schüttelte diesen Gedanken mit einer kleinen Kopfbewegung ab.
    Sie ging, das Pferd am Zügel, das Flußufer entlang, und suchte die Böschung nach Kräutern und den unschuldigen Gesichtern der kleinen Wiesenblumen ab. Wilder Thymian duftete süß und berauschend, die Glockenblumen regten sich im Hauch der stetigen Moorbrise. Die kleinen, dunkelgesichtigen Pennine-Veilchen knickten, als sie von Alys' roten Röcken gestreift wurden. Auf den höhergelegenen Wiesen schwankten weiße, zartlila und blaue Wolken von Wiesenschaumkraut an langen Stielen. Alys marschierte, als könnte sie vor der Einsamkeit weglaufen, vor ihren Bedürfnissen, weg von der Liebe ihres Lebens, die bitter geworden war, sobald sie sie verformt hatte, um sie ihren Zwecken gefügig zu machen.
    Gefolgt von ihrer kleinen Stute, stapfte Alys dahin und wünschte sich, sie wäre weit weg vom Schloß, weit weg von Hugo, weit weg von ihrem ewigen Ehrgeiz. Alys schritt dahin, hielt Ausschau nach heilkräftigen Kräutern und versuchte vergeblich, sich vorzustellen, wie ihr nächster Schritt aussehen sollte. Gott hatte sie im Stich gelassen, die Magie hatte sie in die Falle gelockt. Alys, trittsicher auf den vertrauten Pfaden, hatte den Faden verloren. Das einzige, was sie noch spürte, war der Drang zu überleben — so heftig und lebendig wie immer, und dahinter der alte Schmerz über den Verlust ihrer Mutter — Mutter Hildebrande —, ihr ständiger Begleiter.
    An diesem klaren, sonnenbeschienenen Tag, an dem Lerchen bis hoch in den Himmel stiegen und Kiebitze riefen und Brachvögel schrien, marschierte Alys allein durch ihre dunkle, einsame Welt.
    Sie blieb mit einem Male stehen. Sie war fast bis zu dem tiefen Teich vor Morachs alter Hütte gegangen. Sie legte schützend die Hand über die Augen und schaute gegen die Sonne auf den

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