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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Unsere Liebe Frau ist gnädig, sie wird sich für dich einsetzen.»
    »Ich habe nichts getan«, sagte Alys trotzig. Sie sah zu Mutter Hildebrande auf, und einen Augenblick lang sah die alte Äbtissin das hungrige Kind aus dem Kräutergarten, das schwor, sie hätte keine Verwandten und keinen, dem sie erzählen mußte, daß sie ins Kloster ging.
    Die alte Frau wartete noch einen Moment und musterte Alys' klares, offenes Gesicht. »Ich bete, daß es so ist«, sagte sie schließlich. »Geh jetzt, Ann, und sag ihnen, daß du nicht mit ihnen ins Schloß zurückkehren wirst. Gottes Ruf ist wichtiger als der einer Lady.«
    Alys erhob sich widerwillig. »Habt Ihr genug zu essen?« fragte sie.
    Die Äbtissin lächelte. »Ich habe gestern fürstlich getafelt«, sagte sie. »Es ist noch reichlich da, und wenn das weg ist, wird Unsere Liebe Frau uns wieder im Überfluß schicken. Wir werden hier nicht hungern, Schwester Ann. Wir werden nicht frieren und einsam sein. Ich vertraue auf Ihn. Er wird den Tisch für mich decken, und mein Becher wird überfließen.«
    »Ich werde das Feuer anzünden«, sagte Alys.
    »Das kannst du tun, wenn du wiederkommst«, sagte die Äbtissin.
    »Ich mach es jetzt. Die Hütte muß gelüftet werden. Je eher das Feuer brennt, desto besser.«
    Die Äbtissin ließ sie ins Haus gehen, schloß die Augen vor dem Sonnenlicht und murmelte ein Dankgebet, daß Schwester Ann gefunden war, gefunden und Gott wieder zugeführt. Was immer ihre Sünden waren — und es waren sicher viele Sünden zusammengekommen, in den zehn langen gefährlichen Monaten draußen in der Welt —, das Mädchen würde sie beichten und abbüßen. Ihre Freude, dieses Kind, ihre geliebte Tochter, wiedergefunden zu haben, war unendlich. »Wie der verlorene Sohn«, flüsterte die Äbtissin leise. Hinter den geschlossenen Lidern spürte sie das Prickeln von Tränen. Schwester Ann waren das Feuer und die Schändung erspart geblieben, und sie war nach Hause geführt worden.
    »Es brennt«, sagte Alys brüsk und kam mit schmutzigen Händen zurück ins Sonnenlicht. »In ein paar Minuten könnt Ihr noch etwas Holz auflegen. Ein Stück nach dem anderen, es ist feucht.«
    Die alte Frau nickte lächelnd. »Ich werde dir den Fluß entlang entgegengehen«, sagte sie. »Der Fluß fließt hier unterirdisch, manchmal hört man ihn, wenn man die Böschung entlanggeht, Ann, hast du das gewußt? Es hat mich an unseren Glauben erinnert — manchmal unterirdisch und manchmal auf der Erde, aber immer fließt er dahin.«
    Alys nickte. Sie brachte es nicht fertig, die Höhlen anzusehen, die die Dürre freigelegt hatte, ohne daran zu denken, wie Morachs ertrunkener Körper irgendwo in der Finsternis eines dieser Löcher vor sich hinfaulte. Sie konnte die tiefe, geheime Nässe des Wassers unter den Felsen nicht spüren. Alles, was sie fühlte, war ihre gnadenlose Trockenheit.
    »Ich werde nicht lange brauchen«, sagte sie.

28
    Alys ritt, ohne sich ein einziges Mal umzusehen, nach Castleton zurück. Mary, die jetzt wieder auf dem Pferd saß, ritt hinter ihr. Die Soldaten, frisch und munter nach ihrer kleinen Rast im Wald, marschierten fröhlich dahin. Der führende Soldat pfiff leise durch die Zähne.
    Das schöne Wetter ging wohl dem Ende zu: Ein leichter Dunst lag in Schwaden den Fluß entlang und über den stillen Teichen. Im Westen war die Luft kälter, hinter ihnen sammelten sich lange dicke Wolken.
    »Wir sollten uns besser beeilen«, sagte der vordere Soldat über die Schulter. »Es wird regnen, und Ihr habt keinen Umhang.«
    Alys nickte, und der Mann fing an, einen Schritt zuzulegen. Der Muli trottete hinter ihm her. Alys beobachtete seine langen, tölpelhaften Ohren und hoppelte mühsam mit. Hinter sich hörte sie den schnellen Tritt ihres Pferdes, das Mary hart am Zügel hatte. Alys schmeckte den Staub der Straße auf ihrer Zunge, fühlte seine steinerne Trockenheit auf ihrer Haut und im Haar. Sie spürte, wie sie eine Dumpfheit umfing, je weiter sie von Hildebrande wegritt.
    »Gerade noch rechtzeitig heimgekommen«, sagte der Soldat. Die Wachen am Tor versperrten ihnen den Weg mit gekreuzten Hellebarden, doch dann sahen sie Alys und salutierten. Leises Donnergrollen folgte ihnen auf dem Fuße.
    »Da kommt der Regen«, sagte der Soldat. »Ihr habt Glück gehabt, daß Ihr noch trockenen Fußes nach Hause gekommen seid, Mistress Alys.«
    Alys nickte und ließ sich im Schutz des Tores von ihm aus dem Sattel heben.
    »Leih mir doch jemand einen Umhang«,

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