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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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stand neben ihr, und der Fleischservierer beugte sein Knie und bot ihr die Silberplatte. »Gib mir reichlich«, rief Alys durch das Grollen des Sturms. »Ich bin hungrig.«
    Das Abendessen wurde schnell beendet, der Lärm des Gewitters machte jede Unterhaltung unmöglich, und selbst die wenig Abergläubischen waren nervös und verängstigt. Eine Weile lang ließ der Donner nach, und der Sturm rollte talaufwärts davon. Aber am Eingang des Tales, am großen Wasserfall, drehte er wieder und tobte den Flußlauf entlang, wurde immer schneller, blies den Fluß aus seinem Bett und überflutete die Ufer. Die Frauen wollten nicht in der Galerie sitzen, wo die Fenster im Wind klapperten und das Feuer vom Regen zischte und Funken sprühte. Sie gingen früh zu Bett. Ruth schlief auf einem Feldbett in Catherines Zimmer und hielt ihr die Hand, um die Schrecken der Nacht fernzuhalten. Der Gedanke daran ließ Alys schallend lachen, sie riß ihre Tür für Hugo auf und verriegelte sie dann hinter ihm.
    Er hatte sich von ihrer Stimmung anstecken lassen, seine Augen funkelten. Er wartete auf ihre Befehle.
    »Trink«, sagte Alys und reichte ihm Wein mit einer kleinen Prise Erdwurz. Sie leerte ihr eigenes Glas. »Und zieh dich aus, Hugo, meine Schwestern nehmen dich nur im Gewand des Himmels.«
    Hugo zerrte sich mühsam die Kleider vom Leib, die Erdwurz breitete sich in seinem Körper aus, machte seine Gliedmaßen schwer und unkontrollierbar. Alys sah, wie seine dunklen Augen noch schwärzer wurden, als sich die Pupillen von der Droge weiteten.
    »Alys, meine Hexe«, nuschelte er.
    »Leg dich aufs Bett«, flüsterte sie. »Sie kommen, meine Schwestern. Beim nächsten Donnergrollen werden sie hier sein. Horche auf sie, Hugo! Wenn der Blitz den Himmel entzweireißt, werden sie aus den Wolken fallen, schreiend und lachend, mit wehendem Haar. Sie kommen. Jetzt!«
    Alys stand nackt vor dem Schießschartenfenster mit ausgebreiteten Armen. »Ich kann sie sehen«, sagte sie. »Sie kommen über die Strahlen des Himmels, Hugo! Hierher, meine Schwestern! Hier bin ich! Nehmt mich mit hinaus in den Sturm.«
    Wind rauschte durch die Schießscharte. Alys, brennend vor Schuldgefühlen, Leidenschaft, fiebriger Erregung, lachte wie eine Besessene, als der Regen ihren Körper peitschte. » Oh, das ist gut!« sagte sie. Der kalte, harte Regen bohrte sich wie Nadeln in ihre Brustwarzen. »Oh, so gut«, sagte sie.
    Sie wandte sich zu Hugo, und jede Vorsicht war mit dem Wind davongestoben. »Gehn wir nach draußen«, sagte sie tollkühn. »Zur Spitze des runden Turms.«
    »Draußen«, murmelte Hugo dumpf.
    Alys hüllte ihre Blöße in einen dunkelblauen Umhang und legte Hugo eine Decke um die Schultern. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, als sie ihn durch die Galerie und dann die Treppe hinunterführte, quer durch den Vorraum zum runden Turm. Der alte Lord war noch in der Halle, im Wachraum war keiner. Alys und Hugo huschten die schmale Treppe hinauf, vorbei am Gemach des alten Lords, vorbei an Hugos Gemach darüber, weiter hinauf und hinaus auf die Spitze des Turms.
    In einer geschützten Ecke standen die Taubenschläge, fest verschlossen, damit den Brieftauben nichts passierte. Alys wollte sie fliegen lassen — die kostbaren Vögel in den unberechenbaren Wind schleudern, damit sie sich verirrten und nie wieder den Weg nach Hause finden würden. Abgesehen von den Taubenschlägen war das Dach leer, der Boden schiefergedeckt und abweisend, ein Turm, der in das Zentrum des Sturms ragte. Die Luft um sie herum heulte, der Wind peitschte so heftig auf sie ein, daß ihnen die Worte aus dem Mund gerissen wurden und das Getöse sie taub machte. Alys ging zur Brüstung und schaute nach unten.
    Sie konnte kaum den Ansatz des Turmes sehen, wo er wie eine seltsame Klippe aus dem nackten Felsen des Flusses wuchs. Ein Blitz zuckte über den Himmel, und jetzt sah Alys die Felsen, glänzend und naß reichten sie bis zum Flußbett hinunter. Tief unten toste der Fluß über die Felsen, brach sich in Wellen schwarzen Wassers und weißer Gischt. Alys ließ ihr Cape hinter sich flattern und drehte ihr Gesicht dem prasselnden Regen zu.
    »Sie sind hier!« brüllte sie. »Meine Schwestern holen uns zum Spiel im Sturm! Kannst du sie fühlen, Hugo?«
    Der Wind hatte Hugo die Decke von den Schultern gerissen und peitschte sie wie ein Banner vor sich her. Der Regen geißelte seinen stämmigen weißen Körper. Hugo warf den Kopf zurück und lachte, während der Wind an ihm

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