Die weise Frau
sagte sie barsch.
Mary legte Alys das Cape eines Soldaten um die Schultern, und Alys zog es über ihre steife Giebelhaube. Sie duckte sich gegen den peitschenden Regen und rannte dann quer über den Hof durch das zweite Tor.
An der Tür zur großen Halle blieb sie stehen. Ein Blitz erleuchtete die Halle taghell, gefolgt von einem gewaltigen Donnern. Ein Soldat am Feuer sprang vor Schreck auf und bekreuzigte sich. »Der Herr steh uns bei!« sagte er. »Das war direkt über uns.«
»Wo ist der junge Lord?« fragte ihn Alys. »Wo ist Hugo?«
»Bei seinem Vater, Mistress Alys«, erwiderte er. »Ein Bote des Königs ist mit Briefen eingetroffen.«
Alys nickte. Als sie die Treppe zum Turm hinaufstieg, erhellte plötzlich wieder ein Blitz ihren Weg. Alys stolperte und klammerte sich an die Wand, als der Donner das ganze Gebäude erbeben ließ. »Ich werde es tun«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Ihr Kleid war von dem kurzen Weg durch den Hof völlig durchnäßt worden, und jetzt klebte es schwer an ihren Schenkeln. Es war kalt und naß wie das Gewand einer Ertrunkenen. »Ich werde es tun«, sagte Alys wieder.
Sie erklomm ein weiteres Dutzend Treppen, bis in das runde Wachzimmer unterhalb des Gemachs des alten Lords. Zwei Soldaten saßen beim Würfelspiel. »Ist der junge Lord bei seinem Vater?« fragte Alys.
»Ja, Mistress Alys«, sagte der Jüngere, stand stramm und zog sich die Kappe vom Kopf.
Alys nickte. Der Donner grollte dumpf, als hätte er sich entfernt, um am anderen Turm, dem Kerkerturm, weiterzutoben.
»Der Sturm ist weiter gezogen«, sagte der junge Mann. »Das war vielleicht ein Knall!«
»Er ist noch nicht vorbei«, sagte Alys. Sie ging die nächste Treppe hinauf, unterwegs krallte sie sich in die Steine, als würden ihr die Knie schwach.
Als sie ihre Hand hob, um die Tür des alten Lords zu öffnen, schoß ein scharfer Strahl weißen Lichts durch die Schießscharte bis vor Alys' Füße, und ein wütender Donner erschütterte den steinernen Turm. Alys wich zurück und wäre fast ins Zimmer gefallen.
Hugo, sein Vater und David saßen am Kamin.
»Was für ein Sturm«, sagte der alte Lord. »Bist du naß, Alys? Frierst du?«
»Nein, nein«, sagte sie. Sie hörte, daß ihre Stimme zu schrill, zu ängstlich war. Sie holte Luft und riß sich zusammen. »Ich mußte über den Hof laufen, aber wir haben es vor dem Regen nach Hause geschafft«, sagte sie.
Hugo sah zu ihr auf. »Du solltest die nassen Kleider ablegen«, sagte er. »Mein Vater und ich sind beschäftigt.«
»Dann werde ich Euch nicht stören«, sagte Alys. »Ich bin bereit, für Euch zu schreiben, wann immer Ihr mich braucht, Mylord.«
Lord Hugh nickte.
»Ich dachte nur, ich sollte es Euch erzählen«, sagte Alys. »Die neue weise Frau in Morachs Hütte in Bowes Moor ist sehr seltsam. Ich hab sie im Wald getroffen, als ich die Ulmenrinde geholt habe. Sie hat furchtbar wirres Zeug geredet. Sie hat mir angst gemacht.«
Hugo hob den Kopf. »Hat sie dir etwas getan?« fragte er.
Alys schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich möchte sie nicht in meiner Nähe haben, wenn ich niederkomme«, sagte sie. »Ich hatte ihr ein paar Sachen geschickt und dachte, sie könnte mir von Nutzen sein. Aber sie hat so wirres Zeug geredet und so seltsam ausgesehen. Ich mag sie nicht. Ich mag nicht, daß sie in Morachs Hütte ist.«
Der alte Lord beobachtete Alys neugierig. »Sieht dir gar nicht ähnlich, ängstlich zu sein, Alys«, sagte er. »Liegt es an deinem Zustand?«
»Das muß es wohl sein«, sagte Alys. »Aber die alte Frau hat mich mit jemandem verwechselt. Sie hat mich Ann genannt und mich beschworen, bei ihr zu bleiben. Sie hat mir befohlen, in die Hütte zu kommen, und gesagt, ich wäre in Gefahr, wenn ich mich ihr nicht anschließen würde. Sie hat mir angst gemacht.«
»Hat sie dich verhext?« fragte der alte Lord.
»Nein«, sagte Alys streng. »Nichts dergleichen. Ich denke, es war nur meine törichte Einbildung. Ich werfe ihr nichts vor, ich will sie auch nicht anklagen. Aber es ist mir einfach unheimlich, daß sie so nahe bei uns lebt. Und ausgerechnet dort, wo ich meine Pflanzen sammle. Die Hütte der alten Morach gehört jetzt mir. Ich möchte nicht, daß sie in meiner Hütte lebt.«
»Soll sie weg?« fragte der alte Lord Hugo.
Hugo lachte. »Wir werden sie über die Grenze nach Westmorland abschieben«, sagte er. »Dort gibt's reichlich irre alte Weiber, da wird sie gar nicht auffallen.«
Alys legte die Hand auf ihren
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