Die weise Frau
am Fluß, mitten in der Stille und dem Frieden des Moores.
Der Zwerg grinste. »Sie beschwert sich dauernd beim alten Lord über ihn«, sagte er. »Ich war dabei, ich hab's gehört. Lord Hugo will die Nacht nicht mit ihr verbringen, und er behandelt sie auch nicht nett. Einmal hat sie ihn so gereizt, daß er ihre Lieblingshofdame vor ihr verprügelt hat. Zu stolz, um seine Lady anzufassen, aber einen Jähzorn hat er, da würde selbst der Teufel Angst bekommen! Der alte Lord hat Hugo immer sehr kurz gehalten, aber beide trauen dem zänkischen Weib nicht über den Weg. Er hat früher immer aufgepaßt, daß der junge Lord sie nicht zu schlecht behandelte, und sie mit Tand und Parfüm versorgt, kleine Süßmacher für ihren Essig. Aber sie hat beiden zu oft die Hölle heiß gemacht, sie sehnen sich danach, sie loszuwerden.«
»Das können sie doch nicht, oder?« fragte Alys mit gerunzelter Stirn.
David hob ratlos die Schultern. »Wer weiß, was man jetzt alles machen kann?« fragte er. »Die Kirche wird jetzt vom König regiert, nicht von Rom. Der König macht mit seinen Frauen, was er will. Warum nicht auch der junge Lord? Die rechtmäßige Frau bleibt unfruchtbar, aber wenn sie sie verstoßen, verlieren sie ihre vererbten Ländereien und ihre Mitgift. Und Hugo hat trotz all seiner Hurereien noch nie ein Weib geschwängert. Also bleibt das zänkische Weib hier, bis er einen Weg gefunden hat, sie loszuwerden und trotzdem ihren Reichtum zu behalten.«
»Wie?« fragte Alys.
»Man müßte sie des Ehebruchs bezichtigen können«, flüsterte ihr David zu. »Oder sie müßte sterben.«
In eisigem Schweigen passierten sie das leere Wachzimmer und gingen die Treppe hinunter zum Eingang der großen Halle.
»Und sie?« fragte Alys.
David räusperte sich und spuckte verächtlich. »Sie würde alles tun, um dem jungen Lord zu gefallen«, sagte er. »Alles würde sie tun, um in sein Bett zu kriechen. Sie ist ein leidenschaftliches Weib, das wie die Milch sauer geworden ist, ein wollüstiges Weib am kurzen Zügel. Sie würde alles für den jungen Lord tun. Ich habe ihre Frauen reden hören. Sie betet Tag und Nacht um einen Erben, der ihre Stellung sichert. Sie betet Tag und Nacht, daß der junge Lord sich ihr zuwenden und ihr einen Sohn schenken möge. Sie betet Tag und Nacht, daß der alte Lord ihr gewogen bleibt und sich nicht der neuen Mode anschließt, nach der man junge Frauen genauso leicht verstößt, wie man das Jagdpferd wechselt. Und sie ist heiß auf Hugo«, er hielt inne. »Das sind alle Weiber«, sagte er.
»Und er«, begann Alys. »Macht er...«
»Psst«, sagte der Zwerg plötzlich. Er warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob Alys bereit war. Er nickte und stieß eine der schweren Türen zur Halle auf.
4
Die große Halle trug ein riesiges Gewölbe, dunkel, ohne Fenster, nur mit Schießscharten hoch oben an der Wand. Ein prächtiges Feuer aus wahllos aufgeschichteten Baumstämmen brannte vor der Ostwand. Rauch erfüllte den Raum, und Ruß und federleichte weiße Asche tanzten in der Luft. Neben Alys stand auf einer erhöhten Plattform ein langer, eckiger Tisch mit drei hohen geschnitzten Stühlen, die in den Raum schauten. Entlang der Wände zogen sich vier lange Tische und Bänke. Die Soldaten und Wachmänner saßen auf den besten Plätzen am Plattformende der Halle, die Diener, die Küchenjungen und die Frauen kämpften um Plätze neben der Südtür.
Der Raum war ein einziges Chaos: Drei oder vier Hunde rauften an der Ostwand, die Soldaten schlugen auf die Tische und brüllten nach Brot und Bier, die Diener schrien, um sich in dem Durcheinander Gehör zu verschaffen. In den Wandhalterungen steckten brennende Fackeln, und Alys sah, wie ein gutgekleideter junger Mann an den Tisch des Lords trat und einen prächtigen Lüster an einer Schnur herunterzog und darin blaßgoldene Wachskerzen entzündete.
David, der Zwerg, gab Alys einen Stoß in die Rippen. »Du wirst in der Mitte der Halle sitzen«, sagte er. »Komm, ich suche dir einen Platz.« Er führte sie hinkend zwischen den Tischen hindurch. Aber noch ehe er Alys an einen freien Platz setzen konnte, ging ein aufgeregtes Raunen durch die Halle. David drehte sich um und stupste Alys am Arm, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die erhöhte Tafel. »Jetzt schau dir das an«, sagte er triumphierend. »Schau dir an, wie sie Lord Hugh begrüßen! Schau's dir gut an!«
Der Gobelin hinter dem Tisch auf der Plattform wurde beiseite gezogen, und Lord Hugh
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