Die weise Frau
sich fragend zu einer der Hofdamen, die hinter ihr saßen. Die Frau starrte Alys an und winkte dann einen Diener zu sich. Alys war sich der Befehlskette bewußt und merkte, daß es einer der niedrigsten Diener war, der auf sie zukam, aber ihr Blick war unverwandt auf Lady Catherines Gesicht gerichtet.
»Zwei Katzen auf einem Scheunendach«, murmelte David.
Alys' Handflächen schmerzten von den Fingernägeln, die sich hineinbohrten. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, versteckt unter den langen Ärmeln.
»Lady Catherine befiehlt Euch, vorzukommen!« sagte der Diener, als er auf der dreckigen Spreu atemlos zum Stehen kam. »Geht hinauf zur hohen Tafel. Sie möchte Euch sprechen.«
Alys warf David einen Blick zu. »Geh du deinen Weg«, sagte er. »Ich halte mich ans Essen. Du geh, deine Katzenschlacht kämpfen. Komm nach dem Essen unverzüglich ins Zimmer des Lords.«
Alys nickte, ohne den Blick von Lady Catherines eckigem, fahlem Gesicht zu wenden. Dann ging sie langsam die Halle hinauf.
Die plappernden Männer und Frauen verstummten einer nach dem anderen und schauten ihr nach. Ein großer Wolfshund knurrte und folgte Alys dann durch die Mitte der Halle, den breiten Gang entlang, bis sie, zweihundert Augenpaare im Rücken, direkt vor Lady Catherines eisigem Blick stand.
»Wir müssen dir für deine Künste danken«, sagte Lady Catherine. Ihre Stimme war flach, die Vokale hatten den häßlichen Klang des Südländers. »Wie es scheint, hast du Mylord vollkommen gesunden lassen.«
Die Worte waren freundlich, aber der Blick, der sie begleitete, war pures Eis.
»Ich habe nur meine Pflicht getan«, sagte Alys, ohne den Blick von Lady Catherine abzuwenden.
»Du könntest mich glatt dazu reizen, morgen krank zu werden«, sagte der junge Lord lachend. Die Offiziere auf den nächstgelegenen Bänken lachten mit ihm. Jemand pfiff, lange und leise.
Alys sah ihn nur an. Seine schwarzen Augen waren halb geschlossen, träge, sein Lächeln so warm, als teilten sie ein Geheimnis. Es war die Aufforderung, mit ihm zu schlafen, klar wie die Morgenglocke zum Gebet. Alys fühlte, wie ihr das Blut zu Kopf stieg und sie langsam errötete.
»Wünscht es Euch nicht, Mylord«, sagte Lady Catherine ruhig. Dann wandte sie sich wieder an Alys. »Woher kommst du?« fragte sie barsch.
»Von Bowes Moor«, erwiderte Alys.
Lady Catherine runzelte die Stirn. »Du redest aber nicht wie eine von hier«, sagte sie mißtrauisch.
Alys nagte an der Innenseite ihrer Lippe. »Ich habe ein paar Jahre in Penrith gelebt«, sagte sie. »Ich habe dort Verwandte. Ihre Sprache ist weicher, und sie haben mir Lesen beigebracht.«
»Du kannst lesen?« fragte der alte Lord.
Alys nickte. »Ja, Mylord.«
»Kannst du schreiben?« fragte er erstaunt. »Englisch und Latein?«
»Ja, Mylord«, erwiderte Alys.
Der junge Lord schlug seinem Vater auf die Schulter. »Da habt Ihr Euren Sekretär!« sagte er. »Ein Weib als Sekretär! Die bekommt keinen höheren Posten in der Kirche und verläßt Euch!«
Lachen ertönte vom Kopf des langen Tisches neben der Plattform, und ein Mann in einer dunklen Priesterkutte hob seine Hand wie ein Schwertkämpfer, der Hugos Treffer anerkennt.
»Besser als gar keiner«, sagte der alte Lord. Er nickte Alys zu. »Du darfst noch nicht nach Hause gehen«, sagte er barsch. »Ich habe ein paar Schreibarbeiten, die erledigt werden müssen. Besorge dir einen Platz.«
Alys nickte und wollte sich in den hinteren Teil der Halle zurückziehen.
»Nein.« Der junge Lord wandte sich seinem Vater zu. »Wenn sie Euer Sekretär wird, sollte sie besser hier oben sitzen«, sagte er. »Ihr gestattet, Lady Catherine?«
Lady Catherine öffnete ihren Mund zu einem mühsamen Lächeln. »Natürlich, Mylord, was immer Ihr wünscht.«
»Sie kann bei Euren Frauen sitzen«, sagte der junge Lord.
»He da, Margery, rutsch zur Seite und mach Platz für die junge weise Frau. Sie wird mit dir essen.«
Alys kam mit gesenktem Blick die drei flachen Stufen an der Seite der Plattform hinauf. Dort stand ein kleiner Tisch, um den vier Frauen auf Hockern saßen. Alys zog einen fünften heran und setzte sich zu ihnen. Sie beäugten sie mißtrauisch, während die Bediensteten Alys einen Zinnteller, ein Messer und einen dicken Zinnbecher mit dem Castleton-Wappen brachten.
»Bist du die Gehilfin der alten Morach?« sagte schließlich eine von ihnen. Alys erkannte die Frau, die verwitwet und von einer mächtigen Schwiegertochter aus dem Haus vertrieben worden
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