Die weise Frau
Zügel.
»Rede weiter«, sagte der alte Lord verärgert. »Du stehst unter Eid!«
»Er hat gesagt, ich soll vor der Tür warten und Wache halten«, sagte sie. Ihr Blick war starr auf den alten Lord gerichtet.
Er nickte ungeduldig. »Und er hat sie reingetragen und dann genommen? Los, Mädel, sprich, du wirst keinen hier überraschen!«
Eliza fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Nein«, sagte sie. »Ich hab mich hinterhergeschlichen, um zuzuschaun. Alys hatte soviel über ihre Jungfernschaft geredet — von ihrer Abscheu vor Männern. Ich war neugierig darauf, sie mit Mylord zu sehen.«
Sie verstummte und warf einen Blick auf Lady Catherines versteinertes Gesicht.
»Rede weiter«, sagte der alte Lord grimmig.
»Er hat sie auf den Strohsack geworfen und ausgezogen bis aufs Hemd. Er hat sich die Hosen ausgezogen und sich auf sie gelegt.«
Lady Catherine zischte wie eine Schlange. Der alte Lord ließ sie mit einer kurzen Handbewegung verstummen.
»Ich trau mich nicht zu reden!« platzte sie heraus.
Der alte Lord beugte sich vor, packte sie am Arm, zerrte sie vor sich auf die Knie. »Ich bin hier der Herr«, sagte er. »Ich bin zwar schon alt und grau, aber ich gebe hier immer noch die Befehle. Und ich befehle dir zu sprechen, und ich verspreche dir meinen Schutz — gleichgültig, was du sagst. Und jetzt sag mir, Mädel — was ist passiert, als er sich auf sie gelegt hat?«
»Sie hat ihn verhext!« sagte Eliza mit leisem Stöhnen. »Ich hab sie kichern hören, und sie hat einen Zauberspruch oder so was gemurmelt — ich hab's nicht verstanden —, und dann hat sie ihm den Rücken zugedreht und ist eingeschlafen.«
»Er hat sie nicht genommen?« fragte der alte Lord ungläubig, »obwohl er sie ausgezogen und sich auf sie gelegt hat?«
Eliza schüttelte den Kopf. »Das hat sie gemacht«, sagte sie. »Sie hat nach ihm gegriffen, seinen Arm um sich gelegt, und sie hat seine Hand auf ihre...« Sie verstummte.
»Auf ihre Scham gelegt?« fragte der alte Lord unumwunden.
Eliza nickte und schluckte.
»Was dann?« fragte er.
»Er hat gefragt, ob sie ihn erkennt und welches Jahr es wäre und wie alt sie sei«, sagte Eliza hastig, den Blick starr auf den alten Lord gerichtet. »Alles hab ich nicht gehört«, sagte sie. »Sie hat sehr leise geredet.«
»Hast du überhaupt irgend etwas gehört?« fragte der alte Lord. »Die Wahrheit jetzt, Mädel!«
Sie nickte. »Ich glaube, sie hat gesagt, sie sei achtzehn. Und daß das Jahr 1538 wäre.«
Catherine atmete langsam befriedigt aus.
Der alte Lord sah seinen Sohn an.
»Hat sie meinen Tod prophezeit?«
Hugo nickte. »Ja, Vater«, sagte er ehrlich.
»Und dieses andere Zeug — daß sie deinen Sohn empfangen wird. Das hat sie alles gesagt?«
»Ja«, sagte Hugo mit einem Achselzucken.
Der alte Lord fragte resigniert: »Hat sie gesagt, wie ich sterben werde?«
Hugo schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht gefragt. Sie hat wie im Schlaf geredet. Ich war so überrascht, daß ich gar keine Fragen gestellt habe und...« Er verstummte.
»Und?« fragte der alte Lord.
»Ich hatte sehr zärtliche Gefühle ihr gegenüber«, sagte Hugo verlegen. »So habe ich noch nie einer Frau gegenüber empfunden, nicht mal bei meiner Lieblingshure. Ich wollte sie schlafen lassen. Ich wollte ihren Schlaf beschützen.«
Der alte Lord lachte kurz und trocken. »Das ist keine Zauberei, das ist Liebe«, sagte er knapp. »Ich habe nicht geglaubt, daß dir das je passieren würde, Hugo. Da hast du dir was Schönes eingebrockt!«
Einen Augenblick lang grinsten sich die beiden Männer an, brüderlich vereint durch eine gemeinsame Gefühlserfahrung.
»Und das ausgerechnet bei einem Balg vom Moor«, sagte Hugo verwundert.
Sein Vater lachte. »Das kann man sich nicht aussuchen«, sagte er leise. »Und dich wird es schwer erwischen, Hugo, da wette ich drauf. Sie wird dich ganz schön an der Nase herumführen, dieses Mädchen!«
»Das spielt doch keine Rolle!« zischte Lady Catherine. »Trotzdem ist das Hexerei! Was ist damit, daß sie das Jahr 1538 genannt hat? Und gesagt hat, sie wäre achtzehn. Wie alt ist sie jetzt? Sechzehn! Und wir schreiben 1536! Und was ist mit Eurem Tod? Und was ist mit mir? Sie ist im Bund mit dem Teufel, sie prophezeit unseren Tod — und das schon in zwei Jahren, wenn man ihr jetzt nicht Einhalt gebietet!«
Der alte Lord nickte. »Was denkt Ihr?« fragte er den Priester.
Das Gesicht des Mannes war nachdenklich. »Ich weiß nicht, was ich denken soll«,
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