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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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zu der treibenden Puppe. »Versinke. Geh unter!«
    Der unstete Wind blies die Puppe näher ans Ufer.
    »Geh unter!« hauchte Alys. »Ertrinke!«
    Sie fing sich sofort wieder. » O Gott, das hab ich nicht gemeint!« sagte sie und griff in Panik nach der kleinen Puppe. »Ich wollte nur, daß die Puppe versinkt, mehr nicht«, sagte sie, als wolle sie sich die Dunkelheit um sie herum erklären. »Ich hab nicht gemeint ertrinken. Ich wollte sie nur loswerden.«
    Die Brise trug die Puppe davon. Im selben Augenblick hörte Alys jemanden gegen das äußere Tor hämmern: Diener, die zur Arbeit kamen und Einlaß begehrten.
    Alys raffte mit einer Hand ihr Nachthemd hoch und stieg in das Wasser. Die Kälte ließ ihr den Atem stocken. Sie griff nach der kleinen Puppe, konnte sie aber nicht erreichen.
    »Ich muß sie bekommen«, sagte sie.
    Sie biß die Zähne zusammen und stieg tiefer ins Wasser. Ihre Füße schmerzten bis auf die Knochen von der Kälte. Etwas Schleimiges, Eisiges glitt an ihrer Wade vorbei. »Ich muß sie kriegen«, sagte sie noch einmal.
    Die Puppe trieb weiter vom Ufer weg. Ihr kleiner wächserner Kopf drehte sich wie im Trotz von Alys ab.
    »Komm her«, sagte Alys. Sie biß die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. Die Kälte schien an ihren Füßen und Beinen zu nagen, und als sie weiter hineinwatete, auch an ihren Schenkeln.
    Die kleine Puppe trieb in der Wintermorgenbrise dahin, und das Gesicht drehte sich zu Alys zurück. Die Puppe grinste sie an.
    Das Grinsen der Puppe wurde immer breiter, als ob sie jeden Augenblick in klingendes, boshaftes Gelächter ausbrechen würde. Ihre kleinen Ärmchen reckten sich aus dem Wasser, streckten sich Alys entgegen. Alys' Finger waren nur den Bruchteil eines Zentimeters von den kleinen Wachshänden entfernt. Sie machte noch einen Schritt nach vorn und stolperte dann auf dem fettigen Unrat auf dem Grund des Grabens. Sie hörte das leise Gelächter der Puppe, als der Graben plötzlich steil abfiel und unter ihren Füßen verschwand. Alys sank wie ein Stein in das schleimige, eisige Wasser, ihr Schrei erstickte in dem Schwall Wasser, den sie in den Mund bekam. Ihre Hand packte die kleine Puppe, mit der anderen umklammerte sie den Beutel. Sie strampelte hilflos im Wasser umher.
    Alys hatte nie schwimmen gelernt, sie sank und tauchte nach Luft keuchend wieder auf. Als ihr Gesicht über die Oberfläche kam, versuchte sie zu atmen, schluckte aber nur Wasser und fühlte, wie sie wieder unterging.
    Die Kälte war ihr Feind. Ihre Beine wurden taub und ihre strampelnden Schenkel kraftlos. Tief in ihrem Bauch hielt die Kälte Einzug. Alys sank unter die Oberfläche und kam wieder hoch, hustend und würgend. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, und eine Welle eisigen grünen Wassers schwappte ihr ins Gesicht.
    »Nein!« schrie Alys. Sie rang nach Luft, schluckte aber nur Wasser. Dann packten plötzlich zwei harte Hände ihren Arm und bekamen sie unter den Achseln zu fassen.
    »Ich hab dich, Weib«, sagte eine weit entfernte Stimme.
    Unter Schmerzen wurde Alys aus dem Wasser an Land gezogen, keuchend übergab sie sich auf die Brücke.
    »Schon gut, Mädchen, schon gut«, sagte der Mann.
    Er warf ihr seinen Umhang über und begann, sie grob zu rubbeln.
    »He da!« schrie er in Richtung Wachzimmer. »Laßt uns rein!«
    Er hob Alys auf und trug sie zum Wachzimmer, ein verschlafener Junge riß die Tür auf. »Das Mädel hat versucht, sich zu ertränken«, sagte er. »Hol heißen Met für sie. Und ein Laken, um sie einzuwickeln. Und noch einen Umhang.«
    Der Junge rannte los. Alys, in den Mantel des Mannes gehüllt, würgend und keuchend, fummelte, bis sie die gefährliche kleine Puppe wieder bei den anderen im Beutel hatte.
    Der Mann verpaßte ihr einen kräftigen Schlag auf den Rücken, und Alys kämpfte um Luft, atmete kurz ein und erbrach dann eine Schüssel voll Wasser.
    »Kopf nach unten«, sagte er.
    Gnadenlos hielt er ihr den Kopf nach unten, bis sie aufhörte zu würgen, dann hob er sie hoch, setzte sie in einen Stuhl und begann ihre Hände zu reiben.
    Der Junge stürmte mit einem dampfenden Krug und einem Laken herein.
    »Gut«, sagte der Mann. »Warte draußen.«
    Er riß Alys' Nachthemd vom Saum zum Kragen auf und rubbelte ihren Körper mit dem warmen Laken ab. Ihre Haut war rauh, Hände und Füße blau. Vom Schenkel bis zum Knöchel hatte sie zahllose Schnitte und Kratzer vom Unrat im Graben. Dann wickelte der Mann sie in einen dicken Umhang, setzte sie in einen

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