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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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genau richtige Antwort auf eine Frage zu finden. Wir haben bereits im Rahmen der Erörterung des sozialen Beweises – man erinnere sich nur an die Fußgänger, die dadurch veranlasst wurden, in den leeren Himmel hochzuschauen – das Phänomen kennen gelernt, dass Menschen, die persönlich unsicher sind, was sie glauben sollen, sich hilfesuchend an anderen Mitgliedern ihrer Gruppe orientieren. Und eben darin besteht ja auch der Zweck von Gruppendiskussionen. Falls aber eine Gruppe von vornherein mehrheitlich einen Standpunkt vertritt, wird sie darin durch die Mehrzahl der folgenden Diskussionsbeiträge bestärkt. Insofern werden Personen, die sich des eigenen Standpunkts anfangs ungewiss waren, wahrscheinlich dahingehend überzeugt werden – nicht zuletzt aus dem schlichten Grund, dass das meiste, was sie zu hören bekommen, in ebendiese Richtung zielt. Im Übrigen ist es ja so, dass Menschen mit besonders ausgeprägten Überzeugungen auch argumentativ außergewöhnlich stark sind und ihre Argumente in der Regel zudem laut und vernehmlich vortragen.
    Das ist umso bedeutsamer, als sämtliche Forschungen eines belegen: Das Ergebnis von Gruppendiskussionen wird in hohem Maße durch die Reihenfolge der Diskussionsbeiträge bestimmt. Je früher die Wortmeldungen, desto größer ihr Einfluss auf den Verlauf der Diskussion: Sie legen in der Regel den Rahmen für die weiteren Argumente fest. Das läuft dann ähnlich wie bei den Informationskaskaden: Ist die Richtung einmal vorgegeben, so wird es für einen Andersdenkenden schwer, sie zu stoppen und umzulenken. Das müsste nicht unbedingt ein Problem sein, wenn die frühen Redner wirklich wüssten, wovon sie sprächen. Leider ist es jedoch so, dass insbesondere, wenn es Fragen betrifft, auf die es keine eindeutig richtige Antwort gibt, der bestinformierte Redner keineswegs immer die größte Wirkung ausübt. So sind zum Beispiel zwei Drittel der Obleute von Geschworenenjurys – sie führen und gestalten den Verlauf der Juryberatung – Männer; und während der Beratungen reden Männer auch bei weitem mehr als Frauen, obwohl niemand je hat begründen können, warum das männliche Geschlecht ein besseres, tieferes Verständnis von Schuld oder Unschuld eines Angeklagten besäße. In Gruppen, deren Mitglieder einander kennen, wird der Verlauf der Diskussionen weithin durch gesellschaftliche Statusunterschiede geprägt: Menschen höheren Standes reden mehr und öfter. Auch das wäre weiter nicht schlimm, wenn dem höheren gesellschaftlichen Ansehen eine größere Sachkenntnis entspräche – was eben häufig leider nicht der Fall ist. In einer Serie von Experimenten, bei denen es um die Lösung logischer Probleme ging, hat sich beispielsweise herausgestellt, dass Militärpiloten ihre Antworten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit überzeugender verteidigen als Navigationsoffiziere, selbst wenn die Piloten Unrecht und die Navigationsoffiziere sachlich Recht hatten; und die Navigationsoffiziere ließen den Piloten den Vorrang – auch wenn sie ihnen nie zuvor begegnet waren -, weil sie annahmen, dass Piloten allein aufgrund ihres höheren Ranges wahrscheinlich Recht hatten.
    Diese Form von Respektbezeugung spielt in kleinen Gruppen insofern eine beträchtliche Rolle, als Ideen dort selten nur wegen ihres rein immanenten Wertes obsiegen. Um von der gesamten Gruppe akzeptiert zu werden, bedürfen sie – mögen sie in sich auch noch so einleuchtend sein – eines Vorreiters. Darauf beruht übrigens auch einer der Gründe, warum ein populärer Standpunkt im Verlauf einer Diskussion noch an Popularität gewinnt. Er hat nämlich von Anbeginn mehr Fürsprecher. In einem Markt oder einer Demokratie wirkt dieser Faktor sich allein wegen der schieren Menge potenzieller Entscheidungsträger relativ gering aus. In einer kleinen Gruppe dagegen ist ausschlaggebend, ob ein Standpunkt – ganz gleich, wie vernünftig er auch sein mag – einen starken Fürsprecher hat. Und je mehr kleine Gruppen ihre Wortführer nach gesellschaftlichem Ansehen oder aufgrund von Beredsamkeit beziehungsweise Redseligkeit statt nach geistigen Qualitäten oder Sachverstand aussuchen, desto geringer ist die Chance auf weise Entscheidungen.
    Nun mag es komisch dünken, Redseligkeit als Problemfaktor zu bezeichnen. Doch Redseligkeit wirkt sich bei allen möglichen Entscheidungen kleiner Gruppen enorm einflussreich aus. Wer in kleinen Gruppen oft und lang spricht, wird von den anderen nahezu automatisch für bedeutend

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