Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Eröffnung des internen Marktes – der aus Firmenangehörigen unterschiedlichster Art bestand – wurden die Sieger sehr rasch identifiziert; ihre Werte stiegen rasant nach oben, die Preise der Nieten sanken.
Entscheidungsmärkte sind für Unternehmen insofern besonders geeignet, da sie die Schwierigkeiten umgehen, die den Informationsfluss allzu oft behindern: Büropolitik, Speichelleckerei und eine Verwechslung von Rang und Status mit Kenntnissen. Die Anonymität dieser Märkte und die Tatsache, dass sie eine relativ eindeutige Lösung liefern, während sie den einzelnen Teilnehmern gleichzeitig Anreiz zur Aufdeckung und Beachtung solider Informationen bieten, sichern ihnen eine kaum zu überschätzende Bedeutung.
Entscheidungsmärkte sollten eine Informationsbasis für wichtige Unternehmensentscheidungen bilden, diese jedoch nicht vorwegnehmen. Andererseits ist es – in Anbetracht der uns bekannten Vorzüge kollektiver Entscheidungsprozesse sowie der hohen Bedeutung von Diversität – wenig sinnvoll, dass die Entscheidungsbefugnis bei einer einzigen Person liegt. Ja, je bedeutender eine Entscheidung, desto wichtiger ist es auch, dass sie nicht einem oder einer Einzelnen überlassen wird. Theoretisch tragen sämtliche Konzerne dieser Notwendigkeit Rechnung – durch die Einrichtung einer letzten Instanz: des Aufsichtsrats. In der Praxis delegieren die Mitglieder dieses Gremiums solche Macht an den Vorstandsvorsitzenden. Die Vorstellung, dass Autorität und Macht sich letztlich auf einen Einzelnen zu konzentrieren hätten, ist offenbar schwer aus der Welt zu räumen. Alph Bingham, der CEO von Innocentive, umriss das Problem kürzlich mit folgenden Worten: »Ein System, in dem die CEOs von [Bankkonzernen wie] Goldman Sachs, Morgan Stanley und Merrill Lynch allmorgendlich nach dem Aufstehen ganz für sich allein den Aktienwert der Unternehmen festlegten, würde uns äußerst suspekt vorkommen. Wir gehen davon aus, dass der Markt davon mehr versteht als einige wenige Personen, mögen sie auch noch so gescheit sein. Dagegen kommt es uns gar nicht komisch vor, dass der CEO eines Pharmakonzerns jeden Morgen nach dem Aufstehen bestimmt: ›In dieses Medikament werden wir weiterhin investieren und das andere dafür fallen lassen.‹«
Die besten Konzernchefs sind sich selbstverständlich der eigenen Grenzen bewusst. Darum wurden Entscheidungen bei General Motors in seiner Blütezeit durch »Gruppenmanagement« (Alfred Sloan) getroffen. Und der Managementguru Peter Drucker erklärte: »Ein kluger Vorstandsvorsitzender baut systematisch ein Managementteam um sich herum auf.« Die Quintessenz der Untersuchungen von Richard Larrick und Jack Soll ist auch auf Unternehmen anwendbar: Es ist ein Fehler, nach dem Manager zu suchen. Die Entscheidungen des amerikanischen Zentralbankrats, des Federal Reserve Board, werden schließlich auch nicht von Alan Greenspan, sondern vielmehr vom gesamten Bankrat getroffen. Angesichts der überall herrschenden Unsicherheiten wird das kollektive Urteil einer Gruppe leitender Angestellter selbst den klügsten Topmanager ausstechen. Man erinnere sich an John Cravens Suche nach der Scorpion : Eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Personen mit unterschiedlichstem Informationshintergrund, die den wahrscheinlichen Ausgang ungewisser Ereignisse zu ergründen versuchten, traf kollektiv eine im Grunde perfekte Entscheidung. Was kann sich ein Unternehmen mehr wünschen?
ELFTES KAPITEL
Märkte:
Schönheitswettbewerbe, Bowlingbahnen und Aktienpreise
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Das malaysische Finanzministerium machte 1995 den Vorschlag, eine bestimmte Sorte Unruhestifter für ihre Sünden büßen zu lassen. Als angemessene Form der Bestrafung empfahl es eine offiziell festgesetzte Zahl von Schlägen mit dem Stock. Und wer waren die Übeltäter, denen da eine Züchtigung mit dem Rohrstock angedroht wurde? Keineswegs Drogenhändler, korrupte leitende Angestellte oder selbst Kaugummispucker. Es handelte sich vielmehr um Aktienoptionshändler.
Die meisten Anleger kaufen eine Aktie in der Erwartung, dass ihr Wert steigen wird. Ein Optionshändler leiht Aktien und verkauft sie in der Erwartung, dass ihr Wert fällt, damit er sie dann zu einem niedrigeren Preis erwerben kann; der dabei entstehende Unterschied macht seinen Profit aus. (Wenn ich 1000 bis zu einem bestimmten Datum geliehene General-Motors-Aktien zum Preis von 30 Dollar pro Aktie veräußere, erhalte ich 30 000 Dollar. Fällt ihr Kurswert auf 25 Dollar, so kaufe
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