Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
ich das Aktienpaket für 25 000 Dollar zurück, erstatte sie ihrem ursprünglichen Eigentümer zum vereinbarten Termin zurück und streiche einen Gewinn von 5000 Dollar ein.) Das scheint eigentlich ein ziemliches harmloses Unterfangen. Nun setzen Optionshändler aber sozusagen Wetten gegen die aktuellen Aktienpreise der Unternehmen, und in den Augen vieler Menschen bedeutet so etwas: Sie versuchen aus dem Unglück anderer für sich Gewinn zu schlagen. Ein normaler Anleger gibt eine optimistische Wette ab. Ein Optionshändler sagt voraus, dass die Dinge sich zum Schlechten wenden, und Kassandras erwecken in der Regel nun mal weithin ein ungutes Gefühl. Infolgedessen sind Optionshändler aller Art – man kann fast jeden Vermögenswert, von Währungen bis zu Weizen und Gold, in Termingeschäften handeln – seit jeher mit Argwohn und Misstrauen beäugt worden. Der Vorschlag des malaysischen Finanzministers, Optionshändler körperlich zu malträtieren, mag ein Novum gewesen sein; die Feindseligkeit der Öffentlichkeit, die er mit seiner Empfehlung ins Kalkül zog, war es nicht. Optionshändler waren seit dem 17. Jahrhundert dem Zorn von Anlegern und Regierungen ausgesetzt. Napoleon betrachtete sie als »Staatsfeinde«. In New York waren Termingeschäfte dieser Art im frühen 19. Jahrhundert illegal; in England wurden sie 1733 ausdrücklich verboten, und dieses Verbot blieb bis Mitte des 19. Jahrhunderts unangetastet (obwohl es Hinweise darauf gibt, dass es klammheimlich umgangen wurde).
Eine besonders heftige Reaktion auf Termingeschäfte ereignete sich im Gefolge des großen Börsenkrachs von 1929. Damals wurden Optionshändler als Sündenböcke der wirtschaftlichen Not des Landes gebrandmarkt. Im US-Senat wurden sie als »ein geschäftliches Hauptübel unserer Zeit« und »eine wesentliche Ursache für das Andauern der Wirtschaftskrise« angeprangert. Ein Jahr nach dem Börsenkrach warnte die New York Stock Exchange Investoren davor, ihre Aktien auszuleihen. (Wenn die Optionshändler keine Aktien leihen können, können sie natürlich auch keinen Handel treiben.) Einem wissenschaftlichen Aufsatz von Charles M. Jones und Owen Lamont zufolge nahm »die allgemeine Stimmung gegen Optionshandel geradezu hysterische Formen an«. Der amerikanische Präsident Hoover zeigte sich über mögliche schädliche Folgen für die Öffentlichkeit besorgt. Selbst der FBI-Chef J. Edgar Hoover trat auf den Plan und verkündete, er werde überprüfen, ob die Optionshändler eine verschworene Gemeinschaft zur Senkung von Aktienpreisen gebildet hätten.
Der US-Kongress führte Anhörungen zu den angeblich ruchlosen Aktivitäten der Optionshändler durch, die aber nichts erbrachten, weil sich im Verlauf der Verfahren herausstellte, dass die eigentlichen Schurken zumeist aus dem normalen Aktiengeschäft kamen – sie hatten die Preise mit aufgebauschten Gerüchten und Aktienkaufgemeinschaften hoch getrieben und sich rechtzeitig zurückgezogen, bevor die Blase platzte. Trotzdem dauerte das Misstrauen an, und bald darauf wurde das Handeln mit Optionen durch eine bundesstaatliche Verordnung erschwert – einschließlich einer Bestimmung, die den Handel mit Termingeschäften für Investmentfonds untersagte. (Sie blieb bis 1997 gültig.) In den folgenden Jahrzehnten hat sich börsenmäßig einiges verändert, der Zorn auf die Optionshändler aber blieb. Nach heutiger volkstümlicher Meinung bilden Optionshändler ein Komplott, das falsche Gerüchte in die Welt setzt und unschuldige Unternehmen mit »brutalen Gangstermethoden« – so der Präsident des US-Kongresses, Dennis Hastert, in früherer Zeit – in den Ruin treibt. Obwohl Optionshändler genau den gleichen gegen Aktienmanipulation und Anlegertäuschung gerichteten amtlichen Verordnungen unterliegen wie andere Investmentfonds-Manager, herrscht gemeinhin die Überzeugung vor, dass Optionshändler imstande seien, Aktienpreise nach Belieben zu manipulieren.
Hört man auf die Kritiker, so müsste man sich Optionshändler als eine weltweit operierende Kabale finsterer Genies vorstellen, die Unternehmen nach Lust und Laune vernichten. Doch die paar hauptberuflichen Optionshändler in den USA kontrollieren insgesamt weniger als 20 Milliarden Dollar – angesichts eines Börsenmarkts im Wert von 14 Billionen ist das wie ein Tropfen im Ozean. (Hedgefonds, die über wesentlich mehr Kapital verfügen, handeln übrigens ebenfalls mit Aktienoptionen, aber nicht ausschließlich oder systematisch.)
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