Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Ecke kommen. Es wurde bereits an früherer Stelle betont, dass Märkte wegen ihrer Größe und Tiefe glaubhaft verschiedenartig sind. Dass die überwiegende Mehrheit der Anleger partout dagegen ist, mit Optionsgeschäften auf eine Senkung der Aktienpreise zu setzen, beweist eines: Zumindest auf den Börsenmarkt trifft dies nicht zu. (In den Märkten für zahlreiche andere Vermögenswerte sind Termingeschäfte zwar auch nicht unbedingt beliebt, dort werden sie jedoch immerhin für notwendig und nützlich befunden.)
Der Mangel an Optionshändlern hat nicht zu bedeuten, dass das Urteil des Börsenmarkts immer fehlerhaft ist. Doch die eingeschränkten Termingeschäfte erhöhen das Risiko, dass der Preis einer Aktie wirklich bis ins Bodenlose durchknallt, wenn er erst einmal aus der Bahn gerät. So war es beispielsweise nahezu unmöglich, mit Aktien von Internet-Firmen im Optionsgeschäft zu handeln – was dazu beitrug, dass deren Aktien astronomische Preise erreichten. Nicht dass es, sondern dass es nur einen so geringfügigen Aktienoptionshandel gibt, ist eines der großen Übel im Wirtschaftsleben unserer Zeit.
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Dass so wenige Investoren sich auf Termingeschäfte mit Aktien einlassen, ist laut Jim Chanos insbesondere auf die Tatsache zurückzuführen, dass die meisten Menschen es psychisch nicht ertragen, sich einer permanenten Verachtung auszusetzen. Diese Erklärung hat mir von Anfang an eingeleuchtet. Die Vorstellung, dass wir bei unseren Entscheidungen auch dem Einfluss psychologischer Faktoren unterliegen, wird gemeinhin kaum überraschen. Wirtschaftswissenschaftler werden sich freilich an ihr stoßen; sie sind nämlich traditionell davon ausgegangen, dass der Mensch sich in ökonomischen Dingen von der Vernunft leiten lässt. Natürlich war auch der Mehrzahl der Ökonomen durchaus bewusst, dass Konsumenten sich nicht immer rein rational verhalten; sie waren jedoch der Überzeugung, dass sie grosso modo so handeln, als ob sie rationale Wesen wären. Und ohne eine klare Vorstellung, in welcher Weise der Mensch von Rationalität abweicht, ließe sich selbstverständlich auch die Funktionsweise der Märkte nicht präzise definieren. Hier hat sich nun seit kurzem ein Wandel vollzogen. Die Ökonomen bemühen sich nach Kräften um ein Verständnis des Verhaltens von Investoren und Konsumenten, woraufhin sie bei signifikanten Gruppen eindeutige Abweichungen von der Rationalität ausmachten.
So haben sie beispielsweise mittlerweile erkannt, dass Anleger sich manchmal herdenartig verhalten und unabhängigem Handeln das Gefühl von Sicherheit in der Gemeinschaft vorziehen oder dass Anleger neuesten, hochgradigen Meldungen allzu große Beachtung schenken, langfristigere Trends oder weniger dramatische Nachrichten dagegen unterbewerten – so wie Menschen sich ja auch ängstigen, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, ihre viel gefährlicheren hohen Cholesterinwerte aber ignorieren. Und Investoren, die Managern nach einigen wenigen erfolgreichen Vierteljahresabschlüssen zutrauen, den Markt austricksen zu können, sind zufallsblind. Der Schmerz, den sie bei Verlusten empfinden, trifft sie härter als die Freude bei Gewinnen (nach einigen Darstellungen doppelt so heftig); darum halten sie fallende Aktien länger, als sie eigentlich sollten, weil sie meinen, dass ihnen Verluste erspart bleiben, solange sie solche Aktien nicht abstoßen. Vor allem aber leiden Anleger unter übertriebenem Selbstvertrauen, das sie unter anderem zu übertrieben häufigen Aktientransaktionen verführt, womit sie sich entschieden zu hohe Kosten aufhalsen. Brad M. Barber und Terrance Odean haben den Weg aller Aktien verfolgt, die in den USA von 1991 bis 1996 von 66 000 Einzelpersonen gekauft und verkauft wurden. Der durchschnittliche Anleger schlug jährlich 75 Prozent seines Portfolios um – was die von Ökonomen empfohlene Häufigkeit bereits bei Weitem übertrifft. Bei den aktivsten Investoren, die den Markt überflügeln zu können meinten, belief die Umschlaggeschwindigkeit sich auf 250 Prozent. Sie haben es teuer bezahlt. Im gleichen Zeitraum betrug nämlich die durchschnittliche Gewinnquote des Marktes 17,9 Prozent. Im Vergleich dazu lag schon der durchschnittliche Anleger mit seiner Rendite von 16,4 Prozent zurück. Der hyperaktive Wertpapierhändler aber brachte es lediglich auf eine 11,4-prozentige Rendite. Diese Leute hätten besser daran getan, die Hände einfach in den Schoß zu legen.
Nun muss, was für Otto
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