Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
500 Dollar beträgt, während im Durchschnitt 50 Dollar platziert werden. In der HSX wird komplett mit »Spielgeld« gewettet. Aus dem, was uns an Hinweisen zur Verfügung steht, wird allerdings ersichtlich, dass Menschen zu präziseren Entscheidungen fähig sind, wenn damit eine finanzielle Belohnung verbunden ist (was vielleicht erklärt, weshalb die IEM-Prognosen für gewöhnlich exakter ausfallen). Doch wie der Wissenschaftler David Pennock von »Overture« nach intensiver Erforschung dieser Märkte herausfand, empfanden gerade die aktiven Teilnehmer trotz Status und Reputation den Anreiz, eine gewisse Investition an Zeit und Energie zu riskieren, alles in allem immer noch als Spiel.
Seit die potenziellen Nutzeffekte solcher Entscheidungsmärkte erkennbar geworden sind, ist das Spektrum der Themen, das sie abdecken, rapide gewachsen. So konnte man an den NewsFutures- und TradeSports-Börsen im Herbst 2003 darauf wetten, ob der Basketballstar Kobe Bryant des sexuellen Missbrauchs für schuldig befunden würde oder nicht, ob und wann im Irak Massenvernichtungswaffen aufgespürt würden und ob Ariel Sharon länger an der Macht bleiben würde als Jassir Arafat. Professor Ely Dahan von der University of California in Los Angeles (UCLA) experimentierte beispielsweise mit einem Seminar-Entscheidungsmarkt, in dem Studenten Wertpapiere kauften und verkauften, die verschiedene Konsumgüter und Dienstleistungen repräsentierten, darunter SUVs, Skiorte und Microcomputer für Terminplanung und Notizen. (Auf einem realen Markt dieser Art würde der Wert eines solchen Papiers etwa die Verkaufszahlen eines bestimmten SUV-Modells während des ersten Jahres reflektieren.) Die Vorhersagen dieses Marktes entsprachen auf geradezu unheimliche Weise den Prognosen der konventionellen Marktforschung (nur war die Ermittlung in einem Seminar natürlich viel billiger). Unterdessen hatte im Herbst 2003 die Zeitschrift Technology Review des Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Website »Innovation Futures« eingerichtet, auf der man auf künftige technologische Entwicklungen wetten kann. Und an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der George Mason University gab Professor Robin Hanson – er zählte zu den ersten Autoren, die über die Verwendungsmöglichkeit von Entscheidungsmärkten in unzähligen Problemfeldern schrieben – die Empfehlung, solche Märkte zur Lenkung wissenschaftlicher Forschungen und gar als Instrument zu nutzen, um Regierungen dabei zu helfen, bessere politische Kurse einzuschlagen.
Manche dieser Märkte werden sich zweifellos als wenig nützlich erweisen, weil sie entweder nicht genug Teilnehmer anlocken, um intelligente Vorhersagen machen zu können, oder aber weil sie versuchen werden, Unvoraussehbares zu prognostizieren. Unter richtigen Umständen und bei realistischen Problemen aber können die Grundcharakteristika eines Entscheidungsmarktes – Diversität, Unabhängigkeit und Dezentralisation – gute Gruppenentscheidungen garantieren. Und da solche Märkte eine relativ einfache und rasche Methode zur Transformation vieler diverser Meinungen in ein einziges kollektives Urteil darstellen, bieten sie eine Chance, die Art und Weise, wie Organisationen Entscheidungen finden und über die Zukunft nachdenken, erheblich zu verbessern.
Insofern ist es ein Rätsel, dass amerikanische Großunternehmen bislang so wenig Interesse an Entscheidungsmärkten aufbringen. Der Sinn von Unternehmensstrategien besteht schließlich im Sammeln von Informationen aus vielen unterschiedlichen Quellen, im Abwägen der Wahrscheinlichkeit möglicher Resultate und in der Herbeiführung von Entscheidungen angesichts einer ungewissen Zukunft. Für eben diese Aufgaben sind Entscheidungsmärkte wie maßgeschneidert. Die Unternehmen blieben bislang jedoch gegenüber dieser Quelle potenziell exzellenter Informationen weitestgehend gleichgültig und zeigten erstaunlich wenig Bereitschaft, ihre Entscheidungsfindung durch Rückgriffe der kollektiven Weisheit ihrer Angestellten zu optimieren. Wir werden uns mit dem Unbehagen gegenüber der Vorstellung kollektiver Weisheit noch eingehend befassen. Das wirkliche Problem liegt jedoch auf der Hand: Die Tatsache, dass es eine kollektive Intelligenz gibt, bedeutet noch lange nicht, dass sie auch gescheit genutzt wird.
Ein Entscheidungsmarkt stellt eine elegante und angemessene Methode zum Erfassen kollektiver Weisheit dar. Auf eine spezifische Methode kommt es dabei aber vermutlich
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