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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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hatten 1993 den Anschlag auf das World Trade Center, das Bombenattentat auf die US-Botschaft in Nairobi und den Angriff auf die USS Cole im Jemen nicht vorhergesehen. Doch erst mit dem 11. September ließ sich ihr Versagen, ließen sich die Fehler im Sammeln geheimdienstlicher Informationen nicht mehr unter den Teppich kehren. Eine Untersuchung dieser Vorfälle durch den Kongress kam zu dem Ergebnis, dass die amerikanischen Abwehr- und Nachrichtenkreise »versagt haben, sowohl in der Auswertung von für den 11. September relevanten konkreten Einzelinformationen als auch im Erkennen ihrer Bedeutung insgesamt«. Die Geheimdienste »versäumten es, die Möglichkeiten einer Verhinderung des Komplotts vom 11. September zu nutzen« und hätten Informationen negiert, die, falls ausgewertet, »die Chancen der Geheimdienste zur Aufdeckung und Verhinderung« der Angriffe »stark erhöht hätten«. Man sah sich, kurzum, wieder in der gleichen Situation wie bei Pearl Harbor.
    Das Untersuchungsergebnis stellt zweifelsohne ein klassisches Beispiel von retrospektiver Besserwisserei dar, wie man sie an allen Montagmorgen erlebt, wenn die Nation für kurze Zeit aus Millionen Trainern besteht, die alles anders gemacht hätten. In Anbetracht der Unmengen an Informationen, die von den Geheimdiensten verarbeitet werden, kann es kaum wunder nehmen, dass die ihnen zum Zeitpunkt des Terrorakts vorliegenden Daten Hinweise enthielten, die sich für die Geschehnisse des 11. September im Nachhinein als relevant herausstellten. Das muss aber nicht unbedingt heißen, dass man von den Geheimdiensten hätte erwarten können, die Bedeutsamkeit solchen Materials vorher zu erkennen. In ihrem Standardwerk Warning and Decision belegt Roberta Wohlstetter die Vielfalt der Hinweise auf einen bevorstehenden japanischen Angriff auf Pearl Harbor, betont jedoch, dass es trotzdem unangemessen wäre, von Menschen zu erwarten, dass sie aus dem sie begleitenden »ganzen chaotischen Stimmengewirr« die richtigen Signale auszusondern vermochten. Wohlstetter weist darauf hin, dass strategische Überraschungen ein kaum lösbares Problem darstellen. Und wenn schon ein massiver Angriff der japanischen Marine, mit hunderten Flugzeugen und tausenden Soldaten, schwierig vorauszusehen war, wie viel schwieriger musste es da gewesen sein, einen Terrorakt zu prognostizieren, an dem lediglich 19 Personen aktiv beteiligt waren?
    Und dennoch – man muss sich wundern. Angesichts des totalen Versagens der Geheimdienste, auch nur vor einem der vier Attentate zwischen 1993 und 2001 eine Warnung auszusprechen, scheint es unmöglich zu bestreiten, dass eine andersartige Formierung des Abwehr- und Nachrichtenwesens nicht zumindest die Chancen einer Wahrnehmung »der gesamten Relevanz« gegebener Daten erhöht hätte. Es mag ja unmöglich gewesen sein, die Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon konkret vorauszusagen. Doch eine vernünftige Einschätzung der Wahrscheinlichkeit solcher Attentate wäre vielleicht auch nicht völlig auszuschließen gewesen.
    Der US-Kongress gelangte jedenfalls zu dem Schluss, dass eine bessere Verfahrensweise ein besseres Resultat gezeitigt hätte. Bemängelt wurde vor allem der fehlende »Informationsaustausch« zwischen den verschiedenen Geheimdiensten. Anstatt ein Gesamtbild von den die USA bedrohenden Gefahren zu erstellen, lieferten die unterschiedlichen Dienste gewissermaßen nur eine Menge punktueller Schnappschüsse. Senator Richard Shelby, der schärfste Kritiker der Dienste, warf insbesondere dem FBI eine Lähmung infolge seiner »dezentralen Struktur« vor; sie hätte dazu geführt, dass »Informationsbestände in weitgehend unabhängigen Erbhöfen verwaltet« würden. Die Abwehr- und Nachrichtenkreise wären dadurch außerstande gewesen, die richtigen Informationen den richtigen Personen zuzuleiten. Es komme darauf an, so Shelby, solche Erbhöfe abzuschaffen und die Vorschläge zu beherzigen, die ein halbes Jahrhundert zuvor schon von Bill Donovan formuliert worden seien. Die Geheimdiensttätigkeiten der Vereinigten Staaten müssten von einer Organisation gesteuert werden, die »über den streitsüchtigen bürokratischen Einheiten steht und von ihnen unabhängig« ist. Die Dezentralisierung der Geheimdienste hätte die Vereinigten Staaten in eine Sackgasse manövriert, aus der nur deren Zentralisierung zurückführen könne.

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    Damit hat Shelby sich nun aber gegen eine Leitidee ausgesprochen, die seit anderthalb Jahrzehnten

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