Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
und Spezialisierung ermutigt und es den Menschen gleichzeitig gestattet, ihre Bemühungen zur Bewältigung schwieriger Aufgaben zu koordinieren. Ihre große Schwäche ist dadurch bedingt, dass wertvolle Informationen, die in einem Teil des Systems zutage treten, nicht mit Sicherheit durchweg als solche erkannt werden. Manchmal wird eine kostbare Information überhaupt nicht weitergegeben, was ihren möglichen Nutzen mindert. Wünschenswert ist eine Methode, die es Einzelnen gestattet, sich zu spezialisieren und Lokalwissen zu erwerben – was die Gesamtmenge der im System verfügbaren Information erhöht – und solches Lokalwissen und solch vertrauliche Information gleichzeitig zu einem kollektiven Ganzen zu bündeln, so wie Google sich auf das individuelle Wissen von Millionen Webpage-Operateuren stützt, damit die Google-Suche sich immer effizienter und schneller gestaltet. Um das zu erreichen, muss jede Art von »Menge« – sei es ein Markt, eine Aktiengesellschaft oder ein Geheimdienst – das rechte Gleichgewicht zwischen zwei Notwendigkeiten finden: individuelles Wissen global und kollektiv nutzbar machen (was, wie wir wissen, möglich ist) und gleichzeitig dafür sorgen, dass es dezidiert eigentümlich und lokal bleibt.
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Im Jahr 1991 schuf der finnische Hacker Linus Torvalds seine eigene Version des Betriebssystems Unix und nannte es Linux. Sodann machte er seinen Primärcode öffentlich, damit ein jeder draußen – oder anders: jeder, der Komputercodes zu lesen verstand – sehen konnte, was er da gemacht hatte. Und er hängte – wichtiger noch – die Notiz an: »Falls Ihre eigenen Arbeiten kostenfrei verteilfähig sind, würde ich mich freuen, von Ihnen zu hören und sie dem System hinzufügen zu können.« Damit hatte er eine wegweisende Entscheidung getroffen. Wie es in einer historischen Darstellung des Linux-Systems heißt: »Von den ersten zehn Personen, die Linux herunterluden, kamen fünf Antworten zurück, die Störungsbehebungen, Codeverbesserungen und neue Anwendungen meldeten.« Im Laufe der Zeit wurde dieser Verbesserungsprozess institutionalisiert. Tausende Programmierer lieferten, kostenlos, Tausende kleinerer und größerer Verbesserungen für das Betriebssystem. Auf diese Weise wurde Linux stetig zuverlässiger und robuster.
Im Unterschied zu Windows – Eigentum von Microsoft und ausschließlich von Microsoft-Angestellten betrieben – gehört Linux niemandem. Wenn bei Linux ein Funktionsproblem auftaucht, wird es nur behoben, wenn irgendjemand von sich aus eine gute Lösung anbietet. Bei Linux wird niemand von einem Chef herumkommandiert; dort gibt es weder Organigramme noch Stellenbeschreibungen. Stattdessen arbeiten die Leute an dem, was sie interessiert; alles Übrige ignorieren sie. Das scheint – und ist es eigentlich auch – eine recht fragile Methode, um Probleme aus der Welt zu schaffen. Gleichwohl hat sie sich bislang jedoch als bemerkenswert effizient erwiesen – mit dem Resultat, dass Linux zum bedeutendsten Kontrahenten von Microsoft wurde.
Linux ist ganz eindeutig ein dezentralisiertes System – ein System ohne jede formale Organisation; die freien Mitarbeiter sitzen in aller Welt. Solche Dezentralisierung garantiert vor allem Diversität. Im herkömmlichen Unternehmensmodell heuert das Topmanagement die bestmöglichen Angestellten an, bezahlt sie für eine ganztägige Tätigkeit, gibt ihnen gewisse allgemeine Richtlinien hinsichlich der zu erledigenden Aufgaben und hofft auf engagierte Mitarbeit. Es ist kein schlechtes Modell. Und es hat einen großen Vorteil: Die Leute sind leichter zu motivieren, sich einem bestimmten Problem zu widmen. Im Übrigen entwickeln Unternehmen so die Fähigkeit, ihr spezifisches Leistungsvermögen unter Beweis zu stellen. Andererseits wird auf diese Weise zwangsläufig die Anzahl potenzieller Problemlösungen in einem Unternehmen schon aufgrund rechnerischer Gegebenheiten eingeschränkt: Ein Unternehmen beschäftigt ja nur so und so viele Angestellte, deren Arbeitszeit ein Fixum ist. Es schränkt sie aber auch wegen der im Unternehmen waltenden hierarchie- und bürokratiepolitischen Realität ein. Mit alledem muss Linux sich gar nicht abgeben. Und erstaunlicherweise scheint ein enormer Bestand an Programmierern zu existieren, die gern dazu bereit sind, Linux permanent zu verbessern. Damit ist ein immenses Spektrum an möglichen Problemlösungen gesichert. Denn unter den Programmierern herrscht eine so große Vielfalt und es gibt so
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