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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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Und es wäre unvorstellbar, dass Unternehmensjuristen so gut bezahlt werden, wenn es nicht auf Verträge ankäme. Der hohe Wirkungsgrad von Gesetzen und Verträgen ist freilich daran zu ermessen, wie selten man sich auf sie berufen muss. »In Gesellschaften mit höher entwickeltem Vertrauen«, bemerken Stephen Knack und Philip Keefer, »geben Einzelpersonen weniger Geld aus, um sich bei wirtschaftlichen Transaktionen gegen Ausbeutung zu schützen. Schriftliche Verträge sind weniger notwendig und müssen nicht jede Eventualität spezifizieren.« Der Einkäufer einer Firma im mittleren Westen der USA wird von Axelrod folgendermaßen zitiert: »Falls ein Problem aufkommt, ruft man bei seinem Gegenüber an und bringt es zur Sprache. Wenn man weiterhin miteinander Geschäfte machen will, muss man sich gegenseitig nicht erst komplizierte Vertragsklauseln vorlesen.«
    An diesem Punkt setzt, genau wie im von Axelrod entwickelten Modell, aufgrund des »Schattens der Zukunft« Vertrauen ein. Man vertraut eigentlich nur darauf, dass die andere Person weiß, was in ihrem eigenen Interesse liegt. Aus solchem Sich-Verlassen darauf, dass der andere hier im Sinne seines eigenen Interesses handelt, bilden sich ein generelles Zuverlässigkeitsgefühl und eine Kooperationsbereitschaft (selbst im Rahmen des Wettbewerbs), weil Kooperation die besten Voraussetzungen bietet, um sicherzustellen, dass das Erwünschte zustande kommt. Das von Samuel Bowles und Herbert Gintis als prosozial bezeichnete Verhalten nimmt zu, weil prosoziales Verhalten sich als erfolgreich erweist.
    Mir ist bewusst, wie unwahrscheinlich das alles klingen mag – haben wir doch allenthalben zu hören bekommen, dass Märkte Egoismus und Habgier züchten, nicht aber Vertrauen und Fairness. Falls die oben skizzierte historische Entwicklung Sie noch nicht überzeugt hat, müsste Ihnen Folgendes zu denken geben: Gegen Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts suchten zwölf Feldforscher – elf Anthropologen und ein Ökonom – unter der Leitung von Bowles 15 kleinere Gesellschaften auf. (Es handelte sich um Stämme, die in unterschiedlichen Graden geschlossene, autarke Gemeinschaften formten.) Sie brachten die Stammesmitglieder dazu, an spielerischen Experimenten der Art teilzunehmen, wie sie bei experimentellen Ökonomen beliebt sind. Drei dieser Gesellschaften waren Sammler, vier Jäger, vier Hirtennomaden, zwei trieben Ackerbau. Sie wurden gebeten, bei den drei Standardexperimenten der verhaltensorientierten Wirtschaftswissenschaft mitzumachen: beim Ultimatum-Spiel (siehe oben); beim Gemeinwohl-Spiel (in dem jeder Teilnehmer signifikant besser abschneidet, wenn alle zum öffentlichen Wohl beitragen; falls dagegen nur wenige dazu beisteuern, sind die übrigen Trittbrettfahrer); und beim Diktator-Spiel, das dem Ultimatum-Spiel gleicht, nur mit dem Unterschied, dass der Erwiderer das Angebot des Vorgebers nicht zurückweisen kann. Der Witz aller drei Spiele liegt darin, dass man sich in ihnen auf rein rationale Weise verhalten kann, womit man sich gegen einen Verlust schützt, aber die Möglichkeit wechselseitigen Nutzens aufgibt. Oder die Teilnehmer können sich im Spiel auf prosoziale Art und Weise verhalten – wie es die meisten denn auch tatsächlich tun.
    Die Forscher stellten in all diesen 15 Gesellschaften signifikante Abweichungen von der rein rationalen Strategie fest. Die Abweichungen wiesen allerdings nicht alle in die gleiche Richtung, das heißt, zwischen den unterschiedlichen Kulturen waren signifikante Unterschiede erkennbar. Das wirklich bemerkenswerte Ergebnis der Studie bestand jedoch in Folgendem: Je höher der Grad, in dem eine Kultur marktorientiert war, desto höher das Niveau der Prosozialität. In den mehr marktmäßig ausgerichteten Gesellschaften machten die Spielteilnehmer als Vorgeber im Diktator- und im Ultimatum-Experiment höhere Angebote, sie handelten im Gemeinwohl-Spiel kooperativer und bewiesen, wann immer sich dazu Gelegenheit bot, ein größeres Verständnis des Prinzips der Wechselseitigkeit. Der Markt mag Menschen vielleicht nicht lehren, einander zu vertrauen, jedoch erleichtert und fördert er auf jeden Fall Vertrauensbildung.

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    Bis hierher sind die positiven gesellschaftlichen Auswirkungen von Vertrauen und kooperativem Verhalten relativ klar. Vertrauen und Kooperation werfen allerdings auch ein Problem auf: Je mehr Vertrauen Menschen aufbringen, desto leichter können sie auch von anderen ausgebeutet werden; und wenn

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