Die weiße Bestie: Thriller (German Edition)
Rotz zu einem Strom vermischten, der über das Gesicht lief.
Nach einer Weile löste sie ihre Umarmung, umfasste Sallys Schultern und sah sie ernst an.
» Ich hatte solche Angst, Sally! Wo bist du gewesen? «
Sally biss sich auf die Unterlippe und schaute wieder nach unten auf ihre Sandalen. Die Mutter griff unter Sallys Kinn und hob ihr Gesicht an.
» Wo bist du gewesen, Sally? «
Sie kämpfte, um den Augen der Mutter auszuweichen.
» Du sollst mir erzählen, wo du gewesen bist. Hat dir jemand wehgetan? «
Sally antwortete nicht, und ihre Mutter löste ihren Griff. Sie betrachtete ihre Tochter, bis sie an der Innenseite der dünnen Oberschenkel getrocknetes Blut sah. Die Augen der Mutter füllten sich wieder mit Tränen.
» Geh hinein und wasch dich « , sagte sie mit zitternder Stimme. » Du kannst es noch in die Schule schaffen. Wenn du nach Hause kommst, werden wir darüber sprechen, wo du gewesen bist .«
16
Die Morgensonne schien durch das Küchenfenster. John Hansen starrte das Weißbrot an, das seine Haushälterin für ihn gekauft hatte. Er schüttelte es aus der Tüte, nahm ein Brotmesser und hielt es über das Brot, bereit zur Vollstreckung. Dann legte er das Messer wieder weg. Es hatte keinen Sinn zu versuchen, etwas zu essen– es würde ebenso schnell wieder hochkommen, wie es hinuntergeschluckt worden war.
Das lag wohl an der Menge Bombay Sapphire, die er gestern Abend in sich hineingeschüttet hatte, aber die Spekulationen wegen des Besuchs bei dem Kontaktmann und darüber, was wirklich in Asabo passiert war, hatten eine kräftige Beruhigung der Nerven erfordert.
Er bückte sich und öffnete die braune Tür des Küchenschrankes unter der Spüle. Ganz hinten im Schrank fand er die Flasche Gammel Dansk, die er für Besuch aus Dänemark– und für Notfälle– aufbewahrte. In den letzten Jahren waren es zum Großteil Notfälle gewesen.
John Hansen versuchte eigentlich, es zu unterlassen, morgens zu trinken. An den meisten Tagen gelang es ihm, aber an manchen Tagen war es einfach notwendig. In einem der Oberschränke fand er ein sauberes Schnapsglas, schenkte ein und trank. Nach dem zweiten Glas merkte er, wie die goldbraune Flüssigkeit den Katzenjammer langsam vertrieb.
Er musste heute nur einigermaßen wach sein. Der Tag war dazu vorgesehen, in Ruhe und Frieden zu Hause die Personalsitzung der kommenden Woche vorzubereiten. Die Sitzung sollte ein einziger Anschiss werden, um die untätigen Mitarbeiter dazu zu bringen, die Ärmel hochzukrempeln. So etwas erforderte Vorbereitung.
Das halbjährliche Seminar, bei dem sich alle Leiter von Dana-Oils-Büros in der ganzen Welt in Kopenhagen trafen, fand kommenden Monat statt. John Hansen hasste das Seminar. Dann saßen sie alle zusammen da und protzten mit ihrer Ölfördermenge und ihren steigenden Umsätzen.
Die Jungs aus Nigeria und dem Mittleren Osten waren die Schlimmsten. Sie glaubten, sie seien etwas Besonderes, weil sie zufällig in den Ländern arbeiteten, in denen die Ölproduktion die der meisten anderen Länder übertraf. Als ob es besonders schwierig war, gute Resultate zu liefern, wenn man sich in einem Land befand, in dem das Öl fast wie bei einem Springbrunnen aus der Erde heraussprudelte. Bei dem letzten Treffen war auch der Chef aus Gabun unerträglich übermütig gewesen. Gabun war auch eines der westafrikanischen Länder, die in den letzten Jahren Erfolg an der Ölfront hatten, womit sich der Chef nun wichtigmachte.
Es war deutlich, dass sie John Hansen für einen Nobody hielten. Sie glaubten, er würde es nicht merken, aber selbstverständlich merkte er, wie sie ihm auswichen, als es an der Zeit war, sich an den Mittagstisch zu setzen. Dann saßen sie da in ihrer korrupten Clique und amüsierten sich lautstark, ohne die anderen– John Hansen– auch nur eines Blickes zu würdigen.
Aber dieses Mal sollte es anders werden.
Die letzte Karte über den Untergrund in Block 12 A sah vielversprechend aus. Tatsächlich wirkte die Karte so verheißungsvoll, dass eine Gruppe von John Hansens Mitarbeitern jetzt dabei war, das Potenzial dahingehend einzuschätzen, ob dort ein kommerzieller Fund möglich sein könnte. Eine Sache war es, Öl zu finden, eine andere, ganz zentrale, eine so große und gut zugängliche Fördermenge zu lokalisieren, dass die Milliardenkosten der Produktion durch die Einnahmen, die Dana Oil letzten Endes erzielen würde, mehr als nur gedeckt wurden.
Wenn die unmittelbaren Einschätzungen seriös wären,
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