Die Weiße Burg
packte ihren Arm, als sie die erste Stufe erreichte. Ein schneller Blick zurück verriet ihm, dass sich die Küchentür schloss. Vielleicht spürte Murellin die Kälte ja doch. Trotzdem hielt er seine Stimme leise. »Was hat das zu bedeuten?«
»Das geht Euch nichts an«, sagte sie kurz angebunden.
»Könnt Ihr mir etwas besorgen, das ihn schlafen lässt? Etwas, das ich ihm ins Ale oder in den Wein tun kann? Er trinkt alles, egal, wie es schmeckt.«
»Wenn Shiaine der Meinung ist, dass ich Befehlen nicht gehorche, dann geht mich das sehr wohl etwas an, und Ihr solltet das auch so sehen, wenn Ihr einen Funken Verstand habt.«
Sie legte den Kopf schräg und starrte ihn die lange Nase entlang an, so kalt wie ein Fisch. »Das hat nichts mit Euch zu tun. Soweit es Shiaine betrifft, gehöre ich noch immer Euch, wenn Ihr hier seid. Ihr müsst wissen, dass sich gewisse Dinge geändert haben.« Plötzlich schnappte etwas Unsichtbares sein Handgelenk und zog seine Hand von ihrem Ärmel. Etwas anderes umklammerte seine Kehle und drückte zu, bis er keine Luft mehr bekam. Vergeblich tastete er mit der linken Hand nach dem Dolch. Ihr Tonfall blieb kühl. »Ich war der Meinung, dass sich gewisse andere Dinge auch dementsprechend ändern sollten, aber Shiaine sieht die Dinge nicht logisch. Sie sagt, wenn der Große Meister Moridin will, dass meine Strafe erleichtert wird, dann wird er das sagen. Moridin hat mich ihr übergeben. Murellin ist ihre Weise, dafür zu sorgen, dass ich das begriffen habe. Ihre Weise, dafür zu sorgen, dass ich genau weiß, dass ich ihre Hündin bin, bis sie es anders befiehlt.« Sie holte tief Luft, und der Druck von seinem Handgelenk und seiner Kehle verschwand. Noch nie zuvor hatte ein Atemzug so süß geschmeckt. »Könnt Ihr besorgen, worum ich gebeten habe?«, fragte sie so ruhig, als sei sie nicht gerade versucht gewesen, ihn mit der verdammten Macht zu töten. Allein der Gedanke, dass er damit berührt worden war, ließ seine Haut jucken.
»Ich kann...«, begann er heiser und verstummte, um zu schlucken und sich den Hals zu reiben. Es fühlte sich an, als hätte er in einer Henkerschlinge gesteckt. »Ich kann Euch etwas besorgen, das ihn in einen Schlaf versetzt, aus dem er nie wieder aufwachen wird.« Sobald es sicher war, würde er sie abstechen wie eine Gans.
Sie schnaubte verächtlich. »Ich wäre die Erste, die Shiaine verdächtigt, und ich könnte mir gleich die Handgelenke selbst aufschlitzen, wenn ich gegen eine ihrer Entscheidungen Einwände erhebe. Es wird reichen, wenn er die Nächte durchschläft. Überlasst das Denken mir, das ist für uns beide besser.« Sie legte eine Hand auf das geschnitzte Geländer und schaute die Treppe hoch. »Kommt. Wenn sie jetzt sagt, dann meint sie auch jetzt.« Bedauerlich, dass er sie nicht wie eine Gans aufhängen konnte, damit sie so auf das Messer warten konnte.
Er folgte ihr, und die schweren Schritte seiner Stiefel hallten durch die Vorhalle, und ihm wurde bewusst, dass er nicht gehört hatte, wie der Besucher gegangen war. Falls das Haus keinen geheimen Zugang hatte, von dem er nichts wusste, gab es nur die Haustür, die Tür in der Küche und noch eine zweite Tür hinten heraus, die aber nur durch die Küche zu erreichen war. Also sollte er wohl diesen Soldaten kennen lernen. Vielleicht sollte es eine Überraschung sein. Verstohlen lockerte er den Dolch in seiner Scheide.
Wie erwartet brannte in dem breiten Kamin aus blau geädertem Marmor im vorderen Wohnzimmer ein prächtiges Feuer. Es war ein Raum, der es wert gewesen wäre, geplündert zu werden - auf vergoldeten Tischchen standen Porzellanvasen vom Meervolk, und die Wandbehänge und Teppiche hätten einen ordentlichen Preis erzielt. Allerdings war einer der Teppiche jetzt vermutlich wertlos. In der Mitte des Zimmers lag ein mit einer Decke verhüllter niedriger Hügel, und wenn der Bursche, der ihn bildete, den Teppich nicht mit seinem Blut beschmutzt hatte, würde Hanlon die Stiefel essen, die darunter herausschauten.
Shiaine saß auf einem Lehnstuhl, eine hübsche Frau in goldbestickter blauer Seide mit einem kunstvollen Gürtel aus geflochtenem Golddraht und einer schweren Goldkette um den schlanken Hals. Das glänzende braune Haar, das ihr bis über die Schultern fiel, wurde von einem Netz aus hauchdünner Spitze gehalten. Auf den ersten Blick wirkte sie zerbrechlich, aber ihr Gesicht hatte etwas Fuchsartiges, und ihr Lächeln reichte nie bis zu den großen braunen Augen. Sie
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