Die Weiße Burg
knurrte er und starrte ihren Rücken finster an. Er bemühte sich, diejenigen, die die Auserwählten über ihn gestellt hatten, niemals zu beleidigen, aber diese Schlampe stellte seine Geduld auf eine harte Probe. Er hätte diesen zarten Hals wie einen Zweig zerbrechen können! Um die Hände nicht um ihre Kehle zu legen, füllte er einen Pokal und hielt ihn in der Hand, ohne die Absicht zu haben, daraus zu trinken. Natürlich in der linken Hand. Nur weil bereits ein Toter im Zimmer lag, musste das noch lange nicht bedeuten, dass sie nicht plante, noch einen Mord zu begehen.
»Aber ich muss es langsam angehen lassen. Es ist ja nicht so, als könnte ich sie in eine Ecke drängen und sie aus ihrem Unterhemd kitzeln.«
»Ich schätze nicht«, sagte Shiaine gedämpft. »Sie ist kaum die Art von Frau, an die Ihr gewöhnt seid.« Lachte sie etwa? Amüsierte sie sich über ihn? Es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, den Weinpokal nicht zu Boden zu schleudern und das fuchsgesichtige Miststück zu erdrosseln.
Plötzlich drehte sie sich um, und er blinzelte, als sie den Dolch gleichgültig in die Scheide steckte. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, dass sie das verdammte Ding gezogen hatte! Er nahm einen Schluck Wein, ohne nachzudenken, und verschluckte sich beinahe, als ihm klar wurde, was er da tat.
»Wie würde es Euch gefallen, Caemlyn geplündert zu sehen?«, fragte sie.
»Gut, wenn ich eine Kompanie und einen freien Pfad zu den Toren habe.« Der Wein musste in Ordnung sein. Der zweite Pokal bedeutete, dass auch sie getrunken hatte, und wenn er den Pokal des Toten genommen hatte, konnte nicht mehr genug Gift darin sein, um eine Maus zu vergiften. »Wollt Ihr das? Ich befolge Befehle genauso gut wie jeder andere.« Wenn er davon ausgehen konnte, sie zu überleben, oder wenn sie von den Auserwählten kamen. Man konnte genauso gut als Narr sterben, als den Auserwählten nicht zu gehorchen. »Aber manchmal ist es hilfreich, mehr zu wissen als ›geht dorthin und tut dies‹. Wenn Ihr mir verratet, was Ihr eigentlich in Caemlyn vorhabt, könnte ich Euch helfen, es schneller zu erreichen.«
»Natürlich.« Sie lächelte breit, während ihre Augen so reglos wie braune Steine blieben. »Aber zuerst verratet mir, warum an Eurem Handschuh frisches Blut klebt.«
Er lächelte zurück. »Ein Straßenräuber, der Pech hatte, meine Lady.« Vielleicht hatte sie den Mann geschickt, vielleicht auch nicht, aber er fügte ihren Hals zu der Liste derjenigen hinzu, die er durchschneiden wollte. Und er konnte Marillin Gemalphin gleich hinzufügen. Schließlich war eine einsame Überlebende die Einzige, die erzählen konnte, was geschehen war.
KAPITEL 2
Das Thema von Verhandlungen
Die Morgensonne am Horizont ließ die eine Seite von Tar Valon noch immer von Schatten verhüllt, aber der Schnee, der alles bedeckte, funkelte grell. Die Stadt selbst schien hinter ihren langen weißen Mauern zu leuchten, ihre Türme waren alle tapfer beflaggt, aber für Egwene, die am Flussufer oberhalb der Stadt auf ihrem braunen Wallach saß, schien sie noch weiter weg zu sein, als sie es in Wirklichkeit war. Der Erinin nahm hier eine Breite von fast zwei Meilen an, und der Alindrelle Erinin und der Osendrelle Erinin, die um die Insel flossen, waren jeweils fast halb so breit, sodass sich Tar Valon in der Mitte eines großen Sees zu erheben schien, unerreichbar trotz der massiven Brükken, die hoch über dem Wasser aufragten, damit die Schiffe mühelos unter ihnen hindurchsegeln konnten. Die Weiße Burg mit ihrem knochenweißen Hauptturm, der aus dem Herzen der Stadt zu einer Höhe von fünfhundert Fuß emporwuchs, erfüllte Egwene mit einer Sehnsucht nach der Heimat. Nicht nach den Zwei Flüssen, sondern nach der Burg. Das war jetzt ihre Heimat. Rauch erregte ihre Aufmerksamkeit, ein dunstiger schwarzer Strich, der vom anderen Ufer jenseits der Stadt emporstieg, und sie verzog das Gesicht. Daishar stampfte im Schnee mit den Hufen, aber ein Klaps auf den Hals reichte aus, den Braunen zu beruhigen. Um seine Reiterin zu beruhigen, würde es mehr brauchen. Heimweh war das kleinste aller Probleme. Winzig, verglichen mit dem Rest.
Mit einem Seufzen legte sie die Zügel auf dem hohen Knauf ihres Sattels ab und hob das lange Messingfernrohr. Ihr Umhang fiel zurück und rutschte von einer Schulter, aber sie ignorierte die Kälte, die ihren Atem in Nebel verwandelte, und beschattete die Linse mit einer behandschuhten Hand vor dem grellen Sonnenlicht. Die
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