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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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verschnörkelte heilige Tor aus uraltem Metall, dunkel und düster wie die ganze Sophienkathedrale. Die Feuerschweife der Kerzen in den Kronleuchtern knisterten, flackerten, zogen sich in einem Rauchfaden aufwärts. Ihnen fehlte die Luft. Beim Seitenaltar herrschte wüstes Durcheinander. Aus den seitlichen Türen rieselten goldene Meßgewänder über die abgewetzten Granitstufen, Gebetbücher wurden geschwenkt. Aus runden Schachteln wurden lila Kappen hervorgeholt, von den Wänden wogende Kirchenfahnen heruntergenommen. Der schreckliche Baß des Protodiakons Serebrjakow brüllte irgendwo im Gewühl. Ein Priestergewand – ohne Kopf, ohne Arme – schwebte wie ein Buckel über der Menge, tauchte unter, dann wurde ein Ärmel des wattierten Gewandes hochgeschleudert, dann der andere. Karierte Tücher flatterten in der Luft, wanden sich zu Stricken.
    »Vater Arkadi, binden Sie das Tuch fester ums Gesicht, der Frost ist sehr stark, kommen Sie, ich helfe Ihnen.«
    Die Kirchenfahnen senkten sich an der Tür wie Fahnen von Besiegten, braune Antlitze und geheimnisvolle goldene Worte schwebten nieder, die Bänder schleiften über den Fußboden.
    »Treten Sie zur Seite!«
    »O Gott, wohin denn?«
    »Manka! Ich ersticke …«
    »Wofür denn?« (Ein Baß, flüsternd.) »Für die Ukrainische Volksrepublik?«
    »Weiß der Teufel.« (Flüsternd.)
    »Wer kein Pope ist, ist Ataman.«
    »Vorsichtig …«
    Hoch soll er leben!!!
    dröhnte der Chor durch die Kathedrale. Der dicke, puterrote Tolmaschewski löschte die dünne Wachskerze und steckte die Stimmgabel in die Tasche. Der Chor in langen braunen Gewändern mit Goldstickerei, wippende blonde, kahl wirkende Köpfchen der Diskantstimmen, wogende Adamsäpfel und Mähnenköpfe der Bässe, lief von der düsteren Empore hinunter. Wie eine Lawine, die immer dichter wird, quoll die schäumende, wirbelnde, lärmende Menschenmasse aus allen Öffnungen.
    Vom Nebenaltar schwebten Meßgewänder herbei, Köpfe, wie bei Zahnschmerzen verbunden, mit verstörten Augen, spielzeugartige lila Kartonmützen. Vater Arkadi – Hauptgeistlicher der Kathedrale, ein schmächtiges Männlein, das die edelsteinfunkelnde Mitra über das graukarierte Tuch gestülpt hatte – trippelte im Strom. Seine Augen blickten verzweifelt, sein Bärtchen zitterte.
    »Los, Mitka, es wird eine Prozession geben.«
    »Sachte! Wo wollt ihr hin? Ihr werdet noch die Popen erdrücken.«
    »Geschieht ihnen recht.«
    »Rechtgläubige, hier ist ein Kind eingequetscht!«
    »Ich verstehe nichts.«
    »Wenn Sie nichts verstehen, gehen Sie nach Hause, dann haben Sie hier nichts zu suchen.«
    »Man hat mir das Portemonnaie herausgeschnitten!«
    »Erlauben Sie, die nennen sich doch Sozialisten. Hab ich recht? Was machen dann die Popen hier?«
    »Verzeihung.«
    »Für einen blauen Lappen halten die Popen auch für den Teufel eine Messe ab.«
    »Jetzt auf den Markt und die Judenläden demolieren, das wär das Richtige.«
    »Ich spreche nur Ukrainisch.«
    »Die Frau wird erdrückt, die Frau …«
    »Aaah … aah …«
    Aus den Seitenschiffen hinter den Säulen, von der Empore, Stufe um Stufe, Schulter an Schulter, so daß niemand sich rühren noch umdrehen konnte, wogte die Menge zur Tür. Die alten Wandfresken zeigten dickwandige braune Gaukler aus einem unbekannten Jahrhundert, die tanzend auf Pfeifen spielten. Aus allen Gängen strömte unter Geraschel und Stimmengewirr die halberstickte, von Qualm und Weihrauch benommene Menschenmenge. Immer wieder flackerten kurze schmerzliche Frauenschreie auf. Taschendiebe mit schwarzem Schal um den Hals arbeiteten konzentriert und mühsam und schoben ihre geübten virtuosen Finger in die geballten Knäuel gequetschten Menschenfleisches. Die tausendfüßige Menge knisterte, flüsterte.
    »O Gott, o Gott …«
    »Jesus Maria, himmlische Königin, Mutter Gottes …«
    »Wär ich bloß nicht gekommen, es ist ja schlimm hier.«
    »Sollst hier verrecken, Schuft!«
    »Meine Uhr, Leute, meine silberne Uhr! Du lieber Himmel, erst gestern gekauft.«
    »Man kann sagen, sie wurde dir abgebetet.«
    »In welcher Sprache lief eigentlich die Messe, liebe Leute? Ich hab das nicht verstanden.«
    »In Gottes Sprache, Tante.«
    »Die Moskowiter Sprache wird bald ganz verboten.«
    »Erlauben Sie mal, wieso denn? Soll man nicht mehr in der rechtgläubigen Muttersprache reden dürfen?«
    »Die Ohrringe mitsamt der Öse herausgedreht. Das halbe Ohr abgerissen.«
    »Haltet den Bolschewiken, Kosaken! Ein Spion! Ein

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