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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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    Bum, bum, bum, kamen vom Sophienplatz die dumpfen Schläge der türkischen Trommeln, durch die Straße krochen, den schweren Turm drehend, vier schreckliche Panzerwagen und drohten der Menge mit ihren Maschinengewehren. Aber der rotwangige Enthusiast Straschkewitsch saß in keinem von ihnen. Er lag, noch nicht geborgen, im Petschersker Marienpark gleich hinter dem Tor, nicht mehr rotwangig, sondern graugelb und starr. In seiner Stirn war ein kleines Loch, ein zweites, blutverkrustet, war hinter dem Ohr. Aus dem Schnee ragten seine nackten Füße, und mit glasigen Augen sah er durch die nackten Ahornzweige direkt zum Himmel. Ringsum war es sehr still, im Park befand sich keine Menschenseele, auch auf der Straße zeigte sich nur selten jemand. Die Musik von der alten Sophienkathedrale drang nicht hierher, deshalb war das Gesicht vollkommen ruhig. Die Panzerwagen durchbrachen dröhnend die Menge und rollten dorthin, wo sich vom Himmel die schwarze Silhouette Bogdan Chmelnizkis abhob, der mit dem Hetmansstab nach Nordosten zeigte. Der Glockenklang schwamm wie eine dicke, ölige Welle über den verschneiten Hügeln und Dächern der Stadt, in der Menge schlug dauernd die Pauke, und die freudig erregten Bengels liefen zu den Hufen des schwarzen Denkmals. Schon fuhren kettenrasselnd Lastautos durch die Straßen. In ihnen saßen, von ukrainischen Schafpelzen umhüllt, Mädchen mit Ährenkränzen auf dem Kopf, in bunte, selbstgewebte Wickelröcke gekleidet, und Burschen mit weiten blauen Pumphosen unter dem Schafpelz. Sie sangen harmonisch, aber verhalten.
    In der Rylski-Gasse knallte ein Schuß. Wie Schneegestöber wirbelte dort das Kreischen der Weiber. Jemand lief vorbei und rief:
    »Ein Unglück!«
    Eine Stimme, hastig, heiser, überschnappend, schrie:
    »Ich kenne sie. Haltet sie! Offiziere! Offiziere! Ich hab sie mit Achselklappen gesehen.«
    Ein Zug der zehnten Abteilung mit dem Namen Rada, der auf seinen Abmarsch zum Platz wartete, sprang eilig aus dem Sattel, die Soldaten keilten sich in die Menge und ergriffen jemanden. Frauen schrien. Jämmerlich, hysterisch brüllte der an den Armen gepackte Hauptmann Pleschko.
    »Ich bin kein Offizier! Das stimmt nicht. Das stimmt wirklich nicht. Wie kommen Sie darauf? Ich bin Bankangestellter.«
    Neben ihm wurde noch jemand gefaßt; stumm und leichenblaß versuchte er sich loszureißen.
    Dann flutete die Menge aus der Gasse, als sei dort ein Damm gebrochen. Kopflos vor Angst flüchtete das Volk. Im Nu war die Stelle weiß – mit nur einem dunklen Fleck, einer verlorenen Mütze. In der Gasse blitzte und knallte es, und Hauptmann Pleschko, der dreimal abgeschworen hatte, bezahlte seine Neugier auf Paraden mit dem Leben. Am Vorgartenzaun eines zur Sophia gehörenden Kirchenhauses blieb er mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken liegen, und der andere, der Schweigsame, fiel ihm über die Beine, das Gesicht auf dem Bürgersteig. Im gleichen Moment dröhnten auf dem Platz die Schlagbecken los, wieder strömte lärmend das Volk, spielte das Orchester. Eine siegesbewußte Stimme schrie: »Im Schritt – marsch!« Die Reihen der berittenen Abteilung »Rada« setzten sich mit blitzenden Litzen in Bewegung.

    Ganz unerwartet riß zwischen den Kuppeln der graue Vorhang auf, und im trüben Dunst zeigte sich die Sonne. So groß hatte sie in der Ukraine noch niemand gesehen, und sie war so rot wie reines Blut. Mühsam schien die Kugel durch den Wolkenvorhang, Streifen geronnenen Blutes zogen sich gleichmäßig nach allen Seiten. Die Hauptkuppel der Sophia färbte sich rot und warf einen bizarren Schatten auf den Platz, in dem Bogdans Denkmal lila und die hastende Menge noch dunkler, noch dichter, noch verworrener wirkte. Man sah umgürtete graue Gestalten über eine Leiter den Felsen hinaufklettern, sie versuchten, mit Bajonetten die Inschrift von dem schwarzen Granit abzuschlagen. Doch die Bajonette rutschten ab, ohne etwas auszurichten. Der galoppierende Bogdan riß grimmig das Pferd vom Felsen hoch, um denen, die schwer an seinen Hufen hingen, zu entfliehen. Sein Gesicht war wütend der roten Kugel zugewandt, sein Hetmansstab zeigte wie immer in die Ferne.
    Um diese Zeit geschah es, daß Bogdan gegenüber viele Arme einen Mann über die lärmende, auseinanderfließende Menge auf das eisglatte Becken des Springbrunnens hoben. Er hatte einen dunklen Mantel mit Pelzkragen an, hielt aber seine Mütze trotz der Kälte in der Hand. Der Platz wimmelte noch wie ein Ameisenhaufen, doch

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