Die weiße Garde
der Glockenturm der Sophia schwieg schon, die Musik entfernte sich in den frostigen Straßen nach allen Seiten. Vor dem Springbrunnen sammelte sich eine riesige Menge.
»Petka, Petka, wer ist das, der dort hochgehoben wird?«
»Ich glaube, Petljura.«
»Petljura hält eine Rede.«
»Verbreiten Sie keine Gerüchte. Das ist ein einfacher Redner.«
»Marussja, ein Redner. Guck, guck.«
»Eine Deklaration wird bekanntgegeben.«
»Nein, ein Befehlsschreiben.«
»Es lebe die freie Ukraine!«
Der Mann auf dem Springbrunnen sah begeistert über die tausendköpfige Menge hinweg dahin, wo sich die Sonnenscheibe immer deutlicher abzeichnete und die Kreuze in dunkles, rötliches Gold färbte, winkte und rief mit schwacher Stimme:
»Ruhm dem Volk!«
»Petljura … Petljura …«
»Wieso denn Petljura? Sie sind wohl nicht normal.«
»Was soll Petljura auf dem Springbrunnen?«
»Petljura ist in Charkow.«
»Petljura ist gerade ins Schloß zu einem Bankett gefahren.«
»Ist ja nicht wahr. Es werden keine Bankette gefeiert.«
»Ruhm dem Volk!« wiederholte der Mann, und eine helle Haarsträhne fiel ihm auf die Stirn.
»Ruhe!«
Die Stimme des blonden Mannes festigte sich, sie war im Fußgetrappel, im Tosen der andrängenden Menge, in den verhallenden Trommelschlägen deutlich zu hören.
»Haben Sie Petljura gesehen?«
»Natürlich, o Gott, gerade eben.«
»Oh, Sie Glückliche. Wie sieht er aus?«
»Er hat einen nach oben gezwirbelten schwarzen Schnurrbart wie Wilhelm und trägt einen Helm. Da ist er,
da, gucken Sie, Marja Fjodorowna, sehen Sie, da fährt er.«
»Veranstalten Sie keine Provokation. Das ist der Leiter der Stadtfeuerwehr.«
»Petljura ist in Belgien, meine Dame.«
»Was macht er in Belgien?«
»Er schließt ein Bündnis mit den Alliierten.«
»Aber nein. Er ist jetzt mit einer Eskorte zur Duma gefahren.«
»Warum?«
»Wegen des Eides.«
»Wird er einen Eid leisten?«
»Wieso er? Auf ihn wird der Eid geleistet.«
»Ich würde lieber sterben« (Geflüster), »als auf ihn den Eid leisten.«
»Das brauchen Sie gar nicht. Frauen werden in Ruhe gelassen.«
»Die Jidden nicht, das ist sicher.«
»Die Offiziere auch nicht. Ihnen geht’s an den Kragen.«
»Und den Gutsbesitzern. Nieder mit ihnen!«
Der hellhaarige Mann wies traurig und entschlossen auf die Sonne.
»Habt ihr gehört, Bürger, Brüder und Genossen, wie die Kosaken gesungen haben: ›Denn unsere Kommandeure sind wie unsere Brüder!‹? Sie gehören zu uns. Zu uns!« Der Mann schlug sich mit der Mütze gegen die Brust, auf der eine große rote Schleife prangte. »Zu uns gehören sie. Denn diese Kommandeure sind aus dem Volk hervorgegangen, sind mit ihm geboren und werden mit ihm sterben. Mit uns zusammen haben sie im Schnee bei der Belagerung der STADT gefroren, und jetzt haben sie sie ruhmreich eingenommen, und die rote Fahne weht an ihren Riesenbauten.«
»Hurra!«
»Rote Fahne? Wieso? Was redet er? Gelbblau ist sie.«
»Eine rote Fahne haben doch die Bolschewiken.«
»Ruhe! Hurra!«
»Er spricht aber schlecht ukrainisch.«
»Genossen! Vor euch steht jetzt eine neue Aufgabe – die junge unabhängige Republik zum Glück aller werktätigen Arbeiter und Bauern zu stärken, denn nur sie, deren Schweiß und Blut unser Heimatland tränkte, haben das Recht, es zu besitzen!«
»Richtig! Hurra!«
»Hast du gehört, er redet uns mit ›Genossen‹ an? Wunder über Wunder.«
»Ru-he!«
»Deshalb, teure Bürger, wollen wir in der freudigen Stunde des Sieges unseres Volkes schwören«, die Augen des Redners leuchteten, immer erregter reckte er die Arme zum Himmel, in seiner Rede wurden die ukrainischen Wörter immer seltener, »wollen wir schwören, die Waffen so lange nicht aus der Hand zu legen, bis die rote Fahne, das Symbol der Freiheit, über der ganzen Welt der Werktätigen weht.«
»Hurra! Hurra! Hurra! Die Intern…«
»Waska, halt den Mund. Bist du verrückt?«
»Stschur, seien Sie doch still!«
»Bei Gott, Michail Semjonowitsch, ich halte es nicht aus – Wacht auf, Verdamm …«
Der schwarze Oneginsche Backenbart versteckte sich im dichten Biberkragen, nur die Augen blickten besorgt auf den begeisterten, in der Menge eingekeilten Heißsporn, Augen, verblüffend ähnlich denen des Fähnrichs Schpoljanski, der in der Nacht zum vierzehnten Dezember gefallen war. Die Hand im gelben Handschuh drückte fest die Rechte Stschurs.
»Schon gut, schon gut, ich höre auf«, murmelte Stschur und heftete den Blick auf den
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