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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Menschen, sympathisch zu sein. Hier zum Beispiel hat niemand Geld, und alle sind sympathisch. Auch ich bin eigentlich sympathisch. Aber leider bin ich nicht schön. Ach, ach …
    Wassilissa wollte keinen Tee. Nein, er bedankte sich höflichst. Schön, sehr schön. Auch die Tanne. Hähä. Wie gemütlich es bei Ihnen ist, trotz der schlimmen Zeiten. Ach ja … Nein, herzlichen Dank. Die Schwester meiner Frau Wanda ist vom Dorf zu Besuch gekommen, und ich muß gleich wieder runter. Ich bin nur gekommen, um Jelena Wassiljewna einen Brief zu bringen. Eben habe ich den Briefkasten aufgemacht, und da – hier ist er. Ich hielt es für meine Pflicht. Empfehle mich. – Wassilissa verabschiedete sich mit einem komischen Bückling und warf einen sehr aufmerksamen Seitenblick auf Irina Nai. Wie der guckt, dachte Nikolka finster, dieser Wassilissa ist ja ein Schürzenjäger. Schade, daß seine Wanda nicht hier ist, dann würde er nicht so gucken.
    Jelena entschuldigte sich.
    »Bitte-bitte-bitte-sehr«, sangen verschiedene Stimmen.
    »Nikolka, spiel inzwischen einen Marsch.«
    Moment mal.
    Ein Brief aus dem Ausland? Ist ’s möglich? Es gibt solche Briefe, die man nur zu berühren braucht, um zu wissen, was sie enthalten. Wie mag der überhaupt angekommen sein? Briefe werden ja gar nicht befördert. Sogar von Shitomir schickt man Briefe mit einer Gelegenheit in die STADT. Wie dumm und unsinnig ist alles in diesem Land. Die Gelegenheit fährt ja auch mit der Bahn. Warum werden keine Briefe befördert und gehen verloren? Dieser ist angekommen. Keine Sorge, solch ein Brief findet immer seinen Adressaten. War … Warschau. Das ist nicht Talbergs Handschrift. Wie unangenehm das Herz klopft!
    Obwohl die Lampe einen Schirm hatte, wurde es in Jelenas Zimmer so ungemütlich, als hätte jemand die bunte Seide abgerissen, und das grelle Licht erzeugte ein Chaos wie damals beim Packen. Jelenas Gesicht veränderte sich, glich dem alten Gesicht ihrer Mutter, die sie aus dem Schnitzrahmen ansah. Die Lippen legten sich in verächtliche Falten. Sie zuckte mit dem Mund. Das dem Umschlag entnommene grobe graue Papierblatt lag im Lampenlicht.

    »Ich habe eben erfahren, daß Du von Deinem Mann geschieden bist. Die Ostroumows haben Talberg in der Botschaft gesehen, er fährt zusammen mit Familie Herz nach Paris, es heißt, er werde Lidotschka Herz heiraten. Wie eigenartig sich alles in diesem Durcheinander gestaltet. Ich bedaure sehr, daß Du nicht weggefahren bist. Ihr tut mir alle leid, die Ihr in den Fängen der Bauern geblieben seid. Bei uns steht in den Zeitungen, daß Petljura die STADT angreift. Wir hoffen, daß die Deutschen ihn nicht reinlassen …«
    In Jelenas Kopf hüpfte und hämmerte mechanisch Nikolkas Marsch, der durch die Wände und die mit Ludwig XIV. verhängte Tür drang. Ludwig lachte, den Arm auf den bebänderten Stock gestützt. Ein Stockknauf schlug gegen die Tür, und Alexej trat ein. Er warf der Schwester einen Seitenblick zu, zuckte wie sie mit dem Mund und fragte:
    »Von Talberg?«
    Jelena schwieg, bedrückt und beschämt. Dann aber faßte sie sich und schob ihm das Blatt zu. »Von Olja, aus Warschau.« Alexej heftete den Blick auf die Zeilen und wandte ihn nicht ab, bis er zu Ende gelesen hatte. Dann las er noch einmal den Anfang.
    »Liebe Lena, ich weiß nicht, ob dieser Brief …«
    Auf seinem Gesicht spielten verschiedene Farben. Es wurde safrangelb, an den Schläfen traten rosa Flecke hervor, die blauen Augen wurden schwarz. Das passierte bei Doktor Turbin selten, er war eigentlich ein sanfter, übermäßíg sanfter Mensch.
    »Mit Vergnügen würde ich ihm eins in die Fresse hauen«, preßte er durch die Zähne.
    »Wem?« fragte Jelena und schniefte, da sich in der Nase Tränen sammelten.
    »Mir selbst«, antwortete, vor Scham vergehend, Doktor Turbin, »weil ich ihn damals geküßt habe.«
    Jelena brach in Weinen aus.
    »Tu mir einen Gefallen«, fuhr Turbin fort, »wirf das da zum Teufel.« Er zeigte mit dem Stock auf das Bild Talbergs. Jelena reichte es ihm schluchzend. Alexej riß es sofort aus dem Rahmen und zerfetzte es. Jelena heulte nach Frauenart, ihre Schultern bebten, sie drückte ihr Gesicht an seine gestärkte Hemdbrust. Abergläubisch und ängstlich schielte sie zu der braunen Ikone, vor der noch immer das Ewige Lämpchen hinter dem goldenen Gitter brannte.
    Ich habe gebetet, eine Bedingung gestellt, sei mir nicht böse, Mutter Gottes, dachte die abergläubische Jelena. Turbin erschrak.
    »Leise, leise

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