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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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nach seiner Taschenuhr, und um acht Uhr abends kleidete er sich an und verließ die Wohnung mit den vagen Worten:
    »Um halb zehn oder um elf bin ich zurück.«
    Der Abend verlief wie üblich. Natürlich erschienen Scherwinski und Myschlajewski. Karausche kam selten. Er hatte beschlossen, auf alles zu pfeifen, hatte sich mit seinem Studentenausweis bewaffnet, die Offiziersdokumente so gut versteckt, daß selbst der Teufel sie nicht gefunden hätte, und dann brachte er es fertig, in Petljuras Lebensmittelverwaltung anzufangen. Ab und zu erschien er in der Zuflucht der Turbins und erzählte, wie häßlich die ukrainische Sprache sei.
    »Wieso ukrainisch?« zischte Myschlajewski. »In dieser Sprache hat noch kein Teufel je gesprochen. Die hat sich dieser, wie heißt er gleich, dein Winnitschenko ausgedacht.«
    »Wieso meiner?« protestierte Karausche. »Mit dem will ich nichts zu tun haben.«
    »Brauchst du ja nicht«, sagte Myschlajewski und streckte die Beine zur Zimmermitte aus. »Dieser Winnitschenko ist eine fragwürdige Persönlichkeit, und du bist ein Gentleman.«
    »Entschuldigen Sie, meine Herren«, sagte Nikolka auf ukrainisch und machte kleine Augen.
    Wenn sein Bruder Alexej bei so etwas dabei war, pflegte er zu sagen:
    »Ich bitte dich sehr, nicht in dieser Sprache zu reden.«
    »Entschuldigung«, antwortete Nikolka dann auf ukrainisch.
    Mit Nikolka vollzog sich eine jähe Veränderung. Er scherzte nicht mehr, wurde ernst und zog sich häufig in sein Zimmer zurück, dort machte er länger als sonst Toilette, zog den Mantel an und ging, bemüht, es heimlich zu tun. Trotzdem wußten alle bestens, wohin er ging, das war nicht weiter schwierig. Nikolka hatte sich eine Vorliebe für gestärkte Kragen zugelegt. Er bürstete seine Ellbogen, die ewig voller Kreide waren, und eines Tages rasierte er sich plötzlich und benutzte dazu das Rasiermesser von Lariossik. Der höfliche und verständnisvolle Lariossik stattete Nikolka gern mit Rasierzeug aus, konnte sich jedoch nicht enthalten, blinzelnd und zwinkernd zu sagen:
    »Nikolka, du bist doch blond und brauchst dich eigentlich nicht zu rasieren. Man sieht gar nichts. Die Wange mußt du von innen mit der Zunge rausdrücken.«
    Nikolka, in den Spiegel schielend, drückte die dick eingeseifte Wange mit der Zunge heraus, und sogleich floß kirschrotes Blut und vermischte sich mit dem weißen Schaum.
    Also, die Brüder Turbin fehlten am Abend meistens. Myschlajewski und Scherwinski hatten sich auf Dauer in dieser Zuflucht eingerichtet und verbrachten hier fast jede Nacht. Dank der Anwesenheit Myschlajewskis wurden die Mahlzeiten am Tag und am Abend zu Imbissen, bei denen die warmen Gerichte zweitrangige Ergänzungen waren. In den Mittelpunkt traten Heringe in scharfer Soße, Gurken und Zwiebeln, und im Eßzimmer nistete sich dauerhaft der Geruch eines kleinen, gemütlichen Restaurants ein.
    »Viktor, du trinkst eine solche Masse Wodka, daß du Sklerose kriegen wirst«, sagte die goldene Jelena, die in blauem Tabakrauch schwamm.
    »Champagner hat Petljura uns nicht besorgt«, krächzte Myschlajewski, der in giftigen Rauchwolken verschwand, »alle Hoffnung liegt bei den Bolschewiken, vielleicht bringen die welchen mit.«

    Spät abends oder nachts, wenn alle beisammen waren und Turbin, geheimnisvoll in seine Fläschchen und Papiere vertieft, in grünes Licht getaucht in seinem Schlafzimmer saß, klangen aus Nikolkas Zimmer Gitarrenklänge. Oft saß er im Türkensitz auf seinem Bett und hörte Lariossik zu, der ihm seine Gedichte deklamierte.
    Es fällt die Zeit,
es fällt die Zeit …
wie Tropfen in einer Höhle …
    sprach Lariossik mit dumpfer Stimme und rollte die Augen.
    »Sehr schön, Illarion, sehr schön«, lobte Nikolka.
    Ja, die Zeit fiel ganz unbemerkt wie Tropfen in einer Höhle. Die weißen Tage verflogen bald in wirbelnden Schneestürmen, bald in weißen Frost geschmiedet, und die warmen Abende vertropften langsam. Aus dem Wohnzimmer tönte häufig der eherne Gesang des Dämons:
    Ich fliege bald zu dir …
    Der Dämon mit dem Biberhut und im Pelzmantel kam jeden Abend mit der Straßenbahn aus der fernen Diki-Gasse. Und sang. Seine Stimme wurde immer schöner, fast schon von Tag zu Tag.
    Eigentlich ist er ein kleiner Mistkerl ohne Prinzipien, dachte Jelena in stiller Trauer, während sie durchs Fenster auf die Lichter der Oper blickte, aber seine Stimme ist erstaunlich, weiß Gott, er hat Talent. Nein, er geht nicht unter, verlaßt euch drauf.
    Die Lichter

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