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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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… Die brauchen’s nicht zu hören.«
    Aber im Wohnzimmer hatte niemand etwas gehört. Unter Nikolkas Fingern erbrach das Klavier den verwegenen Marsch »Der Zarenadler«, durch die Wand drang Lachen.
    »Ich werde arbeiten gehen«, murmelte Jelena verwirrt und schluckte Tränen.
    »Daraus wird nichts«, flüsterte Turbin heiser.

    Jelena, gepudert, die welken Augen nachgezogen, kam ins Wohnzimmer. Alle wandten sich ihr zu. Scherwinski schubste Petja Stscheglow in die Mitte. Der Junge, benommen von den Lichtern, dem Tanzen und den fremden fröhlichen Menschen, war zu allem bereit, er trug Jelena mit einer Miene vor, als wäre ihm alles egal.
    »Papa schmiert mit …«
    »Jod …« (Vom Souffleur geflüstert.)
    »Jod mich ein, Mama schwingt das Tanzebein.«
    »Du meine Güte!«
    Besuche machen durfte man nur bis Mitternacht. Warum wußte niemand. Aber bis Mitternacht. Darum stand Irina Nai Punkt viertel zwölf auf und begann sich zu verabschieden. Die Lichter der Tanne waren heruntergebrannt, die erwärmten Nadeln verströmten Waldgeruch, auf dem Fußboden blinkte an zwei Stellen Konfektstanniol, es roch nach Apfelsinenschale.
    »Besuchen Sie uns wieder«, sagte Jelena, »wir alle haben uns gefreut, Sie kennenzulernen.«
    »Wir bringen Sie nach Hause, seien Sie unbesorgt«, sagte Myschlajewski, lächelte Irina zu und schielte zu Nikolka, »einer von uns. Ich oder Fjodor Nikolajewitsch.«
    Nikolka wurde blaß und atmete hörbar aus. Dieses Schwein, dachte er weinerlich, er hat sich auf mich eingeschossen und vergällt mir das Leben.
    »Oder vielleicht Nikolka?« erbarmte sich Myschlajewski. »Nikolka, gehst du mit? Oder willst du im Haushalt helfen?«
    »Nein, ich geh natürlich mit. Ich«, antwortete Nikolka mit veränderter Stimme und setzte sofort die Schirmmütze auf.
    »Ja, ich auch, sofort«, versetzte Lariossik, den keiner gebeten hatte, und suchte sogleich mit eingekniffenen Augen nach seiner Mütze.
    Mein Gott, ist das ein Elend, ein Elend, dachte Nikolka, nahm den Militärmantel so hastig vom Haken, daß der Aufhänger abriß, und fuhr in die Ärmel.
    »Nein, Illarion, Nikolka wird sie begleiten, er ist schon angezogen.« Myschlajewski fuhr aus der knienden Haltung hoch, er hatte an den grauen Überschuhen Irina Nais die Knöpfe geschlossen. »Du bleibst bitte hier. Du bist Fachmann im Verdünnen von Sprit. Ich habe welchen mitgebracht.«
    »Ich? So? Ja …« Lariossik war hochgradig verblüfft, er hatte noch nie im Leben Sprit verdünnt.
    »Meine Herren, keine Umstände, ich gehe allein. Ich habe keine Angst.«
    »Nein, das geht nicht«, sagte Myschlajewski fest, »allein lassen wir Sie nicht gehen. Und mit Nikolka sind Sie so sicher wie hinter einer Mauer.«
    Die Nacht war frostklar, die Straße menschenleer. Als sie aus der Tür getreten waren, die Lariossik hinter ihnen mit polternden Riegeln verschloß, verschwanden Irinas Augen in schwarzen Ringen, und ihr Gesicht wurde weiß. Dann spritzte von hinter der Hausecke das Licht einer hochhängenden Lampe. Sie gingen den Bretterzaun entlang, der den Hof des Hauses Nr. 13 abschloß, und stiegen die steile Straße hinauf. Irina bewegte fröstelnd die Schultern und versenkte das Kinn im Pelz. Nikolka schritt neben ihr. Ihn quälte die schreckliche und unüberwindliche Frage, wie er ihr seinen Arm anbieten konnte. Er brachte es nicht fertig. An seiner Zunge schien ein kiloschweres Gewicht zu hängen. So darf ich nicht gehen. Unmöglich. Aber wie bring ich’s ihr bei? Erlauben Sie mir, Ihnen … Nein, da denkt sie sich vielleicht was. Und vielleicht ist es ihr unangenehm, eingehakt mit mir zu gehen? Ach!
    »Was für ein Frost«, sagte er.
    Irina blickte nach oben, wo am Himmel viele Sterne waren und auf der fernen Kuppel des erloschenen Seminars der Mond stand, und antwortete:
    »Ja, sehr. Ich fürchte, Sie werden frieren.«
    Da haben wir’s, dachte Nikolka bedrückt. Es kann keine Rede davon sein, daß ich ihren Arm nehme, es ist ihr sogar unangenehm, daß ich mitgegangen bin. Anders ist das gar nicht zu verstehen.
    Da rutschte Irina aus, rief »au« und griff nach Nikolkas Ärmel. Nikolka erstickte fast. Aber diese Gelegenheit ließ er sich doch nicht entgehen. So dumm war er schließlich nicht.
    »Erlauben Sie mir Ihren Arm«, sagte er.
    »Wo haben Sie Ihre Handschuhe? Sie werden frieren … Das will ich nicht.«
    Nikolka erbleichte und schwor dem Stern Venus: Wenn ich wieder zu Hause bin, erschieße ich mich. Diese Schande.
    »Ich hab sie unterm Spiegel

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