Die weiße Garde
zwinkerten verlogen, als wollten sie versichern, daß in der STADT alles gut und ruhig verlaufe, daß Petljura Blödsinn sei, Peturra, und das Wahre sei hier, in den warmen Wänden, im schummerigen Wohnzimmer. Und es war zu spüren, daß es verlogen war, leider, es gab keine Ruhe dort am Himmel, wo der flimmernde Mars brannte. Man mußte jede Minute nutzen, die wie ein Tropfen in dem warmen Hause herabfiel von der Uhr, denn wer konnte schon garantieren, daß der Himmel nicht in einer schlangenförmigen Schrappnellrakete zerplatzen und es nicht in der Ferne wieder wummern würde?
»Lassen Sie meine Hand los, Scherwinski«, sagte Jelena welk und halb flüsternd, »lassen Sie.«
Aber Scherwinski ließ nicht los, seine Finger spielten in der Hand, wanderten weiter zum Ellbogen, zur Schulter. Ab und zu beugte er sich zu ihrer Schulter und versuchte, sie mit seinen glattrasierten Lippen zu küssen.
»Ach, Sie Frecher, Sie Frecher«, sagte Jelena flüsternd. Die Gitarre … blim … blim … Unbestimmt … dumpf … denn schauen Sie, man weiß ja noch nichts …
Wir hatten keinen Kummer, dachte Turbin unter dem grünen Lampenschirm. Einen Lumpen sind wir los, und bestimmt kommt ein anderer. Die verdammten Weiber … Nie zieht es sie zu einem guten Menschen. Er hat zwar eigentlich nichts besonders Schlechtes getan, aber verdammt nochmal, was soll das für ein Ehemann sein? Ein Lügenbold, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat, und keinen Gedanken im Kopf. Nur die Stimme. Aber eine Stimme kann man doch auch hören, ohne zu heiraten. Ja … Ach, verdammt …
Turbin stand auf, ging umher, rauchte, zuckte mit dem Mund, und alle diese Spaziergänge im Zimmer endeten auf die gleiche Weise: Er entnahm der Schreibtischschublade das Bild, klappte das dünne Papier hoch, betrachtete das Frauengesicht mit den schwarzen Augenbrauen und den hellen Haaren, seufzte und zog den Mund schief. Dann sagte er »ich geh nicht …«, biß die Zähne zusammen und machte sich auf dem Weg.
Spät abends saß er dann in dem staubigen, niedrigen Zimmer mit den alten Gerüchen und murmelte mit einem Blick auf die Epauletten der vierziger Jahre und dann in die Augen von Julia Reiß:
»Sag mir, wen liebst du?«
»Niemanden«, antwortete dann Julia und guckte so, daß selbst der Teufel nicht verstanden hätte, ob es stimmte oder nicht.
»Heirate mich«, sagte Turbin und preßte ihre Hand.
Julia schüttelte verneinend den Kopf und lächelte.
Turbin packte sie am Hals, würgte sie und zischte:
»Sag mir, wessen Foto war das auf dem Tisch, als ich verwundet bei dir lag? Schwarzer Backenbart …«
Julias Gesicht lief dunkel an, sie begann zu röcheln. Sie tat ihm leid, er lockerte den Griff.
»Mein Vet … mein Vetter.«
»Wo ist er?«
»Nach Moskau ist er gefahren.«
»Bolschewik?«
»Nein, Ingenieur.«
»Was will er in Moskau?«
»Er hat da zu tun.«
Das Blut floß zurück, und Julias Augen wurden kristallklar. Was war wohl in dem Kristall zu lesen? Rein gar nichts.
»Warum hat dein Mann dich verlassen?«
»Ich habe ihn verlassen.«
»Warum?«
»Er ist ein Lump.«
»Du bist eine Lumpin und Lügnerin. Ich liebe dich, du Schlange.«
Julia lächelte.
So war es an den Abenden und in den Nächten. Turbin ging gewöhnlich gegen Mitternacht durch den Garten mit den vielen Terrassen, und seine Lippen waren zerbissen. Er blickte auf das löchrige knöcherne Geflecht der Bäume und flüsterte etwas.
»Geld brauch ich …«
Einmal stieß er auf Nikolka. Der ging mit hellem Kragen und blinkenden Mantelknöpfen, blickte hoch und studierte die Sterne. So trafen sie sich auf der untersten Terrasse des Gartens, da, wo der Ziegelweg begann, der zu der bemoosten Pforte führte. Eine Pause trat ein.
»Du, Nikolka? Wo warst du? Hm …«
»Ich habe die Familie Nai-Turs besucht«, meldete Nikolka und blickte zur Seite, »ich habe ihnen einen Fahrplan gebracht.«
»Wollen sie etwa verreisen?«
»Nein, das nicht«, antwortete Nikolka, dem der Fahrplan gerade eingefallen war, und erschrak. Was denn, verreisen? Wer verreist? Ein unheimlicher Gedanke. »Nein, Aljoscha, weißt du, die alte Hausfrau.«
»Na schön, unwichtig … Also die wohnen hier in dem Häuschen?«
»Bestimmt«, sagte Nikolka.
»Na, gehen wir zusammen.«
Die Brüder gingen knirschend durch den Schnee. Die Pforte klappte.
»Und du warst auch hier, Aljoscha?«
»Hm«, kam es aus dem Kragen.
»Geschäftlich oder bei einem Patienten?«
»Bei … tja«, antwortete der
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