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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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und die STADT nahm allerorts wieder ein friedliches Aussehen an, mit Ausnahme einer kleinen Ecke in Petschersk, wo ein paar Häuser eingestürzt waren. Selbstverständlich leitete das deutsche Kommando eine strenge Untersuchung ein, und selbstverständlich erfuhr niemand in der STADT etwas über die Ursachen der Explosion. Erzählt wurde allerlei.
    »An der Explosion sind französische Spione schuld.«
    »Nein, bolschewistische Spione.«
    Schließlich geriet die Explosion in Vergessenheit.
    Das zweite Vorzeichen ereignete sich im Sommer, als die STADT voll üppigen, staubigen Grüns war, als sie polterte und dröhnte und die deutschen Leutnants täglich ein Meer von Sodawasser austranken. Das zweite Vorzeichen war wirklich ungeheuerlich!
    Am hellichten Tage wurde in der Nikolajewskaja-Straße genau an der Stelle, wo die Droschken standen, kein anderer als der Oberbefehlshaber der deutschen Armee in der Ukraine, Feldmarschall Eichhorn, ermordet, der unantastbare und stolze General, furchterregend in seiner Macht, der Stellvertreter Kaiser Wilhelms höchstselbst! Natürlich war der Täter ein Arbeiter und natürlich ein Sozialist. Vierundzwanzig Stunden nach dem Tode des Germanen hängten die Deutschen nicht nur den Mörder, sondern auch den Kutscher, der ihn zum Tatort gefahren hatte. Zwar konnte das den berühmten General nicht wieder lebendig machen, doch es weckte in den Köpfen der Klugen merkwürdige Gedanken über das Ereignis.
    So saß abends am offenen Fenster Wassilissa – der Kragen seines rohseidenen Hemdes war offen – bei einem Glas Tee mit Zitrone und flüsterte Alexej Wassiljewitsch Turbin geheimnisvoll zu:
    »Wenn ich alle diese Ereignisse vergleiche, komme ich unwillkürlich zu der Schlußfolgerung, daß unser Leben ziemlich unsicher ist. Mir scheint, den Deutschen wackelt es« (Wassilissa bewegte seine kurzen Finger in der Luft) »unter den Füßen. Überlegen Sie selbst: Eichhorn … und an welcher Stelle? He?« Wassilissa machte erschrockene Augen.
    Turbin hörte ihm düster zu, verzog das Gesicht und ging.
    Ein weiteres Vorzeichen kam am nächsten Morgen und brach über Wassilissa herein. Früh, als die liebe Sonne gerade ihren fröhlichen Strahl in den finsteren Kellergang sandte, der vom Hof zu Wassilissas Wohnung führte, schaute Wassilissa hinaus und erblickte im Sonnenstrahl das Vorzeichen. Es sah herrlich aus im Glanz seiner dreißig Jahre, mit der funkelnden Münzkette um den königlichen Hals, mit den nackten schlanken Beinen und dem wogenden vollen Busen. Die Zähne des Vorzeichens glänzten, und die Wimpern warfen lila Schatten auf die Wangen.
    »Heute fünfzig«, sagte das Vorzeichen mit einer Sirenenstimme und zeigte auf die Milchkanne.
    »Aber Jawdocha«, rief Wassilissa mit kläglicher Stimme. »Fürchte die Strafe Gottes! Vorgestern vierzig, gestern fünfundvierzig, heute fünfzig. So geht es doch nicht!«
    »Was soll ich machen? Alles ist teuer«, antwortete die Sirene. »Auf dem Markt, erzählt man, werden sogar hundert gefordert.«
    Ihre Zähne blitzten wieder. Für einen Augenblick vergaß Wassilissa die fünfzig und auch die hundert, vergaß alles, und eine süße, freche Kälte durchdrang seinen Leib. Eine süße Kälte, die ihn jedesmal durchdrang, wenn diese herrliche Erscheinung im Sonnenstrahl auftauchte. (Wassilissa stand früher auf als seine Frau.) Er vergaß alles und stellte sich plötzlich eine Waldlichtung mit Tannenduft vor … Ach, ach …
    »Nimm dich in acht, Jawdocha«, sagte Wassilissa, leckte sich die Lippen und schielte zur Tür, ob seine Frau nicht kam, »diese Revolution hat euch gänzlich verdorben. Paßt auf, die Deutschen werden euch schon Mores lehren.« Ob ich ihr einen Klaps auf die Schulter gebe? dachte Wassilissa qualvoll und wagte es doch nicht.
    Ein breites Alabasterband aus Milch fiel schäumend in den Krug.
    »Wer weiß, ob sie uns Mores lehren oder wir sie«, antwortete das Vorzeichen, strahlte, blitzte, klirrte mit der Kanne, schwenkte das Tragholz und stieg wie ein Strahl im Strahl aus dem Keller in den sonnenüberfluteten Hof. Was für Beine – ach! stöhnte es in Wassilissas Kopf.
    In diesem Augenblick hörte Wassilissa die Stimme seiner Eheliebsten, drehte sich um und stieß mit ihr zusammen.
    »Mit wem hast du gesprochen?« fragte die Gattin und warf einen raschen Blick nach oben.
    »Mit Jawdocha«, antwortete Wassilissa gleichgültig. »Stell dir vor, die Milch kostet heute fünfzig.«
    »Waas?« rief Wanda Michailowna. »Unerhört!

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