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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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das einfache Volk soll nicht plündern. Nun, all das traf unter dem Hetman mehr oder weniger ein, man könnte sogar sagen, zum größten Teil. Die hierher geflüchteten Moskauer und Petersburger jedenfalls und auch die meisten Ansässigen spotteten zwar über das merkwürdige Hetmanland und nannten es, wie Hauptmann Talberg, eine Operette, ein hausbackenes Zarenreich, spendeten aber dem Hetman aufrichtiges Lob und … »Gott gebe, daß es ewig so bleibt.« Ob es ewig so bleiben konnte, wußte niemand, nicht einmal der Hetman selbst. Tja.
    In der STADT gab es immerhin eine Schutzpolizei, ein Ministerium und sogar ein Heer, auch Zeitungen mit verschiedenen Namen, aber was ringsum vor sich ging, in der wirklichen Ukraine, die größer als Frankreich ist, in der Dutzende Millionen Menschen wohnen, das wußte niemand. Nichts wußte man, gar nichts, nichts von den entfernten Orten und – groteskerweise – nichts von den Dörfern, die nur fünfzig Werst vor der STADT lagen. Nichts wußte man, aber man haßte mit aller Kraft. Und auch als aus den entfernten Dörfern verschwommene Gerüchte eintrafen, daß die Deutschen die Bauern ausplünderten, erbarmungslos bestraften und mit Maschinengewehren töteten, erhob sich keine empörte Stimme zur Verteidigung der ukrainischen Bauern, im Gegenteil, oft sah man unter seidenen Lampenschirmen in den Wohnzimmern wölfisch gebleckte Zähne und hörte ein Gemurmel:
    »Geschieht ihnen recht! Ist noch zuwenig! Ich hätte sie noch ganz anders angefaßt. Sie werden sich die Revolution gut merken. Die Deutschen werden’s ihnen schon zeigen. Ihre eigenen wollten sie nicht haben, sollen sie die Fremden kennenlernen!«
    »Oh, unklug sind Ihre Worte, unklug.«
    »Was reden Sie, Alexej Wassiljewitsch! Das sind doch Schurken! Das sind wilde Tiere. Nun gut. Die Deutschen werden’s ihnen schon zeigen.«
    Die Deutschen!
    Die Deutschen!
    Und überall:
    Die Deutschen!
    Die Deutschen!
    Schon gut: Hier sind die Deutschen, und dort hinter dem fernen Kordon, in den blaugrauen Wäldern, sind die Bolschewiken. Nur zwei Kräfte.

5
    Unerwartet erschien auf dem riesigen Schachbrett die dritte Kraft. So gruppiert ein unerfahrener Spieler, nachdem er sich mit einer Bauernreihe gegen den gefährlichen Partner abgeschirmt hat, seine Läufer um den König. (Übrigens gleichen die Bauern den Deutschen mit ihren Blechschüsseln.) Aber die heimtückische Königin des Gegners findet plötzlich einen ungeschützten Weg von der Seite, dringt ins Hinterland ein, schlägt dort die Bauern und die Rössel, bietet das schreckliche Schach, und der Königin folgt der schnelle, leichte Läufer, ihr Offizier, in hinterlistigem Zickzack nähern sich die Rössel, und nun geht der schlechte Spieler unter, sein hölzerner König wird matt gesetzt.
    All das kam schnell, aber nicht unerwartet, und dem, was kam, waren einige Vorzeichen vorausgegangen.
    Einmal im Mai, als die STADT strahlend wie eine Perle auf Türkis erwacht und die Sonne aufgegangen war, um das Reich des Hetmans zu beleuchten, als die Bürger schon wie Ameisen ihren Geschäften nachgingen und die verschlafenen Verkäufer in den Läden ratternd die Rollos hochzogen, rollte eine schreckliche, unheildrohende Detonation durch die STADT. Sie war von einem nie gehörten Timbre, keine Kanone, kein Donner klang so, doch sie war so heftig, daß viele Lüftungsklappen sich von selbst öffneten und die Fensterscheiben klirrten. Die Detonation wiederholte sich, pflanzte sich durch die ganze obere STADT fort, senkte sich in Wellen auf die untere STADT, auf Podol, nieder und verschwebte über den blauen Dnepr hinweg in der Moskauer Ferne. Die Bürger erwachten, in den Straßen entstand Verwirrung. Sie breitete sich rasch aus, denn von der oberen STADT, von Petschersk, kamen schreiend und kreischend blutüberströmte Menschen gelaufen. Die dritte Detonation war so stark, daß in den Häusern von Petschersk die Fensterscheiben zerklirrten und die Erde unter den Füßen bebte.
    Man sah hier Frauen, nur mit einem Unterhemd bekleidet, unter entsetzlichem Geschrei durch die Straßen laufen. Bald erfuhr man, woher die Detonationen kamen. Sie kamen vom Schädelberg, der vor der STADT direkt am Dnepr liegt. In den riesigen Munitionslagern des Berges hatte sich eine Explosion ereignet.
    Fünf Tage lebte die STADT in der schrecklichen Angst, dem Schädelberg würden Giftgase entströmen. Aber die Detonationen hörten auf, Giftgase strömten nicht aus, die Blutüberströmten verschwanden,

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