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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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der aus der aufgeknöpften Revolvertasche ragte. Der General bedeckte sich mit roten Flecken und verstummte.
    »Ruf doch an, du dummer Zausel«, sagte Nai-Turs plötzlich ganz offen. »Ich knall dir mit dem Colt eins an den Kopf, daß du die Beine ausstreckst.«
    Der General sank in den Sessel. Über seinen Hals liefen rote Falten, das Gesicht aber blieb grau. Nai-Turs drehte sich um und ging.
    Einige Minuten saß der General unbeweglich in dem Ledersessel, dann bekreuzigte er sich zur Ikone hin, nahm den Hörer ab, hielt ihn ans Ohr, hörte das dumpfe und vertraute »Amt«, spürte aber plötzlich wieder die traurigen Augen des Husaren, legte auf und blickte aus dem Fenster. Er sah im Hof die Junker hasten und graue Bündel von Filzstiefeln aus der Schuppentür tragen. In der dunklen Türöffnung starrte die Soldatenfratze des völlig verblüfften Zeughausverwalters. In der Hand hielt er das Papier. Nai-Turs stand breitbeinig am Karren und betrachtete ihn. Der General nahm mit schwacher Hand die frische Zeitung, faltete sie auseinander und las auf der ersten Seite:

    »Am Fluß Irpen fanden Zusammenstöße mit einer gegnerischen Streife statt, die Swjatoschino einzunehmen versuchte.«

    Er warf die Zeitung hin und sagte laut:
    »Verflucht seien der Tag und die Stunde, wo ich mich in diese Sache eingelassen habe.«
    Die Tür öffnete sich, und der Stellvertreter des Generals, ein Hauptmann, der einem schwanzlosen Iltis ähnelte, trat ein. Ausdrucksvoll blickte er auf die roten Falten über dem Kragen und sagte:
    »Bitte melden zu dürfen, Herr General.«
    »Hören Sie, Wladimir Fjodorowitsch«, unterbrach ihn der General mit irrem Blick und rang nach Atem. »Ich fühle mich plötzlich schlecht, ein Anfall … hm … ich fahre jetzt nach Hause, und Sie sind so freundlich, hier ohne mich Anordnungen zu treffen.«
    »Zu Befehl«, antwortete der Iltis, der ihn neugierig betrachtete. »Wie soll ich verfahren? Das vierte Bataillon und auch die Gebirgskavallerie verlangen nach Filzstiefeln. Sie geruhten, zweihundert Paar auszugeben?«
    »Ja. Ja!« antwortete der General schrill. »Ja, ich habe es angeordnet! Ich! Ich selbst! Ich geruhte! Eine Ausnahme! Sie rücken jetzt aus. Ja. In ihre Stellungen. Ja!!«
    Neugierige Funken blitzten in den Augen des Iltis.
    »Wir haben nur vierhundert im ganzen.«
    »Was kann ich tun?« schrie der General heiser. »Soll ich Filzstiefel gebären? Gebären? Wenn jemand verlangt – geben Sie, geben Sie, geben Sie!«
    Fünf Minuten später wurde General Makuschin mit einer Droschke nach Hause gefahren.

    In der Nacht zum Vierzehnten wurden die toten Kasernen in der Brest-Litowsker Gasse wieder lebendig. In dem riesigen verschmutzten Saal flammte an der Wand zwischen den Fenstern eine elektrische Birne auf (die Junker hatten tagsüber an Laternen und Masten gehangen und Drähte gezogen). Hundertfünfzig Gewehre waren in Pyramiden zusammengestellt, und auf den schmutzigen Pritschen schliefen nebeneinander die Junker. Nai-Turs saß an dem wackligen Tisch, auf dem Brotkanten, Kochgeschirre mit Resten erkalteter Wassersuppe, Patronentaschen und Ladestreifen lagen, und hatte den Stadtplan auseinandergefaltet. Eine kleine Küchenlampe warf ein Bündel Licht auf das bunte Papier, auf dem der Dnepr wie ein verzweigter, trockener blauer Baum aussah.
    Gegen zwei Uhr nachts übermannte ihn der Schlaf. Er schnaufte und beugte sich ein paarmal tief über den Plan, als wolle er etwas genau erkennen. Schließlich rief er nicht sehr laut:
    »Junker!«
    »Zu Befehl, Herr Oberst«, antwortete es von der Tür, und ein Junker schlurfte in Filzstiefeln zum Tisch.
    »Ich lege mich jetzt hin«, sagte Nai-Turs. »Sie wecken mich in drei Stunden. Wenn ein Funkspruch kommt, wecken Sie Fähnrich Sharow; vom Inhalt hängt ab, ob er mich wecken wird oder nicht.«
    Es kam kein Funkspruch. In dieser Nacht ließ der Stab Nai-Turs in Ruhe. In der Morgendämmerung marschierte der Trupp mit drei Maschinengewehren und drei zweirädrigen Karren los und zog sich auf der Straße weit auseinander. Die Häuschen am Stadtrand waren wie ausgestorben. Als aber der Trupp auf die breite Polytechnische Chaussee kam, sah er dort Bewegung. Im frühen Dämmerlicht ratterten Fuhren, schleppten sich vereinzelte graue Papachas dahin. Alles das ging zurück in die STADT und wich Nai-Turs’ Trupp ängstlich aus. Langsam, aber unentwegt wurde es heller, über den Datschengärten und über der festgestampften Chaussee mit den vielen Schlaglöchern

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