Die weiße Garde
den Wagen waren zwei Verwundete, fünfzehn bewaffnete gesunde Junker und alle drei Maschinengewehre, mehr konnten sie nicht fassen. Nai-Turs drehte sich mit dem Gesicht zu den Junkerketten um und erteilte ihnen laut und schnarrend einen nie gehörten sonderbaren Befehl.
In einem verwahrlosten, überheizten Raum der ehemaligen Kasernen in der Lwowskaja-Straße saß, vor Ungeduld vergehend, die dritte Abteilung des ersten Infanteriebataillons – achtundzwanzig Junker. Kommandeur dieser Ungeduldigen war (ganz unerwartet) Nikolka Turbin geworden. Der eigentliche Kommandeur, Stabshauptmann Besrukow, und zwei seiner Fähnriche waren morgens in den Stab gefahren und noch nicht zurückgekehrt. Nikolka als Unteroffizier war der Rangälteste. Er trieb sich in der Kaserne herum, ging dauernd ans Telefon und sah es an.
So zog es sich hin bis gegen drei. Die Junker blickten wehmütig. Ach, ach …
Um drei piepste das Feldtelefon.
»Ist dort die dritte Abteilung des Bataillons?«
»Jawohl.«
»Bitte den Kommandeur an den Apparat.«
»Wer spricht dort?«
»Der Stab.«
»Der Kommandeur ist noch nicht zurück.«
»Wer ist am Apparat?«
»Unteroffizier Turbin.«
»Sind der Rangälteste?«
»Jawohl.«
»Führen Sie die Abteilung sofort zum festgelegten Einsatzort.« Und Nikolka führte die achtundzwanzig Mann auf die Straße hinaus.
Alexej Turbin schlief wie ein Toter. Er wachte ganz plötzlich auf, als habe ihn jemand mit kaltem Wasser übergossen, sah nach der auf dem Stuhl liegenden Uhr und stellte fest, daß es schon zehn vor zwei war. Er sauste durchs Zimmer, zog die Filzstiefel an, stopfte hastig Streichhölzer, Zigarettenetui, Taschentuch, Browning und zwei Magazine in die Taschen, vergaß bald dies, bald jenes, schnallte das Koppel enger um den Mantel, wollte noch etwas tun, zögerte aber, es kam ihm feig und schändlich vor, dann tat er es doch: holte aus der Tischschublade seinen zivilen Arztpaß. Er drehte ihn in der Hand, beschloß, ihn mitzunehmen, aber in diesem Augenblick rief Jelena nach ihm, und er vergaß den Paß.
»Hör zu, Jelena«, sagte Turbin und zog sichtlich nervös das Koppel noch enger; sein Herz verkrampfte sich in böser Vorahnung, der Gedanke war ihm schrecklich, daß Jelena mit Anjuta in der großen Wohnung allein bleiben mußte. »Es ist nicht zu ändern. Ich muß gehen. Mir wird hoffentlich nichts zustoßen. Die Division wird nicht weiter als bis zu den Vorstädten ausrücken, und ich werde an einer sicheren Stelle sein. Gebe Gott, daß auch Nikolka unversehrt bleibt. Heute morgen habe ich gehört, daß die Lage etwas ernster geworden ist, nun, vielleicht gelingt es uns doch, Petljura zurückzuschlagen. Leb wohl, leb wohl!«
Im leeren Wohnzimmer allein geblieben, ging Jelena zwischen dem Klavier, wo noch immer die bunte Titelseite der Valentin-Arie lag, und der Tür von Alexejs Arbeitszimmer hin und her. Das Parkett knarrte unter ihren Füßen. Ihr Gesicht war unglücklich.
An der Einmündung seiner krummen Straße in die Wladimirstraße nahm Turbin eine Droschke. Der Kutscher willigte ein, ihn zu fahren, nannte aber finster schnaufend einen ungeheuren Preis und war offensichtlich nicht bereit nachzulassen. Zähneknirschend setzte Turbin sich in den Schlitten und fuhr in Richtung Museum. Es war frostkalt.
Ihm war schwer ums Herz. Im Fahren horchte er auf das entfernte Maschinengewehrfeuer, das ab und zu aus Richtung des Polytechnischen Instituts aufflackerte und dem Bahnhof zu gelten schien. Er dachte darüber nach, was es zu bedeuten hätte (den Mittagsbesuch von Bolbotun hatte er verschlafen) und spähte die Bürgersteige entlang. Dort herrschte chaotische, aber dennoch starke Bewegung.
»Halt … ha …«, sagte eine betrunkene Stimme.
»Was soll das?« fragte Turbin böse.
Der Kutscher zog die Zügel so jäh an, daß er beinah Turbin auf die Knie gefallen wäre. Ein puterrotes Gesicht tauchte bei der Deichsel auf, der Mann tastete sich längs der Zügel zum Sitz vor. Auf dem gegerbten Halbpelz blinkten die zerknüllten Achselklappen eines Fähnrichs. Aus einem Arschin Entfernung traf Turbin der schwere Gestank von Sprit und Zwiebeln. In den Händen des Fähnrichs tanzte ein Gewehr.
»Um … um … umdrehen«, sagte der rotgesichtige Betrunkene. »Schmeiß den Passagier raus.« Das Wort »Passagier« fand er komisch und kicherte.
»Was soll das?« wiederholte Turbin böse. »Sehen Sie nicht, wer ich bin? Ich fahre zum Sammelpunkt. Lassen Sie gefälligst den Kutscher in
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