Die weiße Garde
stieg zergehend der Nebel auf.
Von dieser frühen Stunde an bis drei Uhr nachmittags blieb Nai-Turs an der Polytechnischen Chaussee, denn von der Nachrichtentruppe war ein Junker mit dem vierten zweirädrigen Karren gekommen und hatte ihm vom Stab einen mit Bleistift geschriebenen Zettel mitgebracht:
»Die Polytechnische Chaussee bewachen, bei Feindberührung den Kampf aufnehmen.«
Diesen Feind erblickte Nai-Turs zum erstenmal um drei: weit links, auf dem verschneiten Platz vor der Militärbehörde, erschienen zahlreiche Reiter. Es war Oberst Kosyr-Leschko, der entsprechend dem Plan des Obersts Toropez die Polytechnische Chaussee zu erreichen und auf ihr ins Stadtzentrum zu gelangen versuchte. Eigentlich griff Kosyr-Leschko, der bis zum Anfang der Polytechnischen Chaussee keinem Widerstand begegnete, die STADT nicht an, sondern rückte einfach ein, in breiter Front und siegesbewußt, denn er wußte sehr gut, daß seinem Regiment noch eine Einheit berittener Haidamaken des Obersts Sosnenko, zwei Regimenter der blauen Division, ein Regiment der Setsch-Strelitzen und sechs Batterien folgten. Als auf dem Platz die Pünktchen der Reiter erschienen, krepierten hoch am schneeverhangenen Himmel Schrapnelle. Die Pferdepunkte zogen sich zu einer Kette zusammen, nahmen die ganze Chausseebreite ein, vergrößerten sich, wurden dunkel und rollten auf Nai-Turs zu. In den Ketten der Junker rasselten die Gewehrschlösser. Nai-Turs holte die Pfeife hervor, stieß einen schrillen Pfiff aus und schrie:
»Auf die Kavallerie! Salvenweise – Feuer!«
Mündungsfeuer zuckte längs der grauen Ketten, die Junker schickten Kosyr die erste Salve. Dreimal riß der Leinenvorhang vom Himmel bis zu den Mauern des Polytechnischen Instituts auseinander, dreimal feuerte mit peitschendem Donner das Bataillon Nai-Turs’. Die berittenen schwarzen Bänder in der Ferne zerbröckelten und verschwanden von der Chaussee. In diesem Augenblick geschah etwas mit Nai-Turs. Eigentlich hatte kein Mensch in der Truppe ihn je erschrocken gesehen, aber plötzlich schien es den Junkern, als ob er etwas Gefährliches irgendwo am Himmel gesehen oder aus der Ferne gehört hätte, kurzum, er befahl, in die STADT zurückzugehen. Ein Zug blieb und feuerte die Chaussee entlang, um die zurückweichenden Züge zu decken. Dann lief auch er zurück. So rannten sie zwei Werst, warfen sich von Zeit zu Zeit hin und weckten die große Straße mit ihrem Gepolter, bis sie die Kreuzung der Brest-Litowsker Gasse erreichten, derselben Gasse, wo sie die letzte Nacht verbracht hatten. Die Kreuzung war tot, keine Menschenseele zu sehen.
Nai-Turs rief drei Junker zu sich und befahl ihnen:
»Im Laufschritt zur Polewaja- und Borstschagowskaja-Straße, feststellen, wo unsere Truppen sind und was mit ihnen los ist. Wenn ihr Fuhren, zweirädrige Wagen oder andere Transportmittel unorganisiert zurückgehen seht, nehmt sie fest. Bei Widerstand droht mit der Waffe und wendet sie dann auch an.«
Die Junker liefen ein Stück zurück, dann nach links und verschwanden schließlich, von vorn aber bekam der Trupp plötzlich Feuer. Die Kugeln prasselten auf die Dächer, flogen immer dichter, in der Kette fiel ein Junker und färbte den Schnee mit seinem Blut. Dann stöhnte ein zweiter auf und sank vom Maschinengewehr zur Seite. Nai-Turs’ Ketten zogen sich auseinander und belegten die pfeilgerade Straße mit ununterbrochen knatterndem Lauffeuer, gezielt auf die wie durch Zauberei aus der Erde kriechenden dunklen Ketten des Feindes. Die verwundeten Junker wurden aufgehoben, weißer Mull auseinandergewickelt. Die Kaumuskeln des Obersts spielten unter der Haut. Öfter und immer öfter drehte er sich um, versuchte, möglichst weit die Flanken zu überblicken; ihm war anzusehen, daß er ungeduldig auf die fortgeschickten Junker wartete. Endlich kamen sie atemlos, schnauften, pfiffen und röchelten wie abgehetzte Jagdhunde. Nai-Turs merkte auf und wurde dunkel im Gesicht. Der erste Junker rannte auf ihn zu, baute sich vor ihm auf und meldete keuchend:
»Herr Oberst, unsere Truppen sind nirgends zu sehen, nicht nur in Schuljawka, überhaupt nirgends.« Er holte Atem. »Hinter uns schießen Maschinengewehre, und in Schuljawka war in der Ferne feindliche Reiterei zu sehen, als ob sie in die Stadt einzog.«
Die letzten Worte des Junkers übertönte schon Nai-Turs’ durchdringender Pfiff.
Die drei Wagen rasselten durch die Brest-Litowsker Gasse, sprangen durch die Schlaglöcher der Fonarny-Gasse. In
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