Die weiße Garde
schreit ihn an, und er verschwindet in der Mündung der Kanone und wird von Nikolka abgelöst, der hastig, unsinnig und dumm in seinem Eigensinn ist. Nikolka gibt ihm zu trinken, aber nicht den kalten, brausenden Strahl vom Springbrunnen, sondern warmes Wasser, das widerlich nach einem Metalltopf schmeckt.
»Pfui, hör mit dem widerlichen Zeug auf«, murmelte Turbin.
Nikolka hob erschrocken die Augenbrauen, bleibt aber eigensinnig und ungeschickt. Jelena verwandelt sich öfters in den schwarzen, überflüssigen Lariossik, Talbergs Neffen, und dann wieder in die rötlichblonde Jelena, die mit den Fingern seine Stirn berührt, was ihm wenig Erleichterung bringt. Jelenas Hände, sonst so warm und geschickt, kratzen ihn jetzt wie eine Harke und tun nur Unnötiges, Störendes, was einem friedlichen Menschen auf dem verfluchten Hof des Zeughauses das Leben unerträglich macht. Sicherlich ist Jelena auch an dem Pfahl schuld, den man Turbin durch den angeschossenen Körper gesteckt hat. Nun setzt sie sich auch – was hat sie bloß? – auf das Ende des Pfahls, und er dreht sich unter ihrer Last, daß einem übel wird. Versuch zu leben, wenn sich dir ein runder Pfahl in den Körper bohrt! Nein, nein, nein, sie sind unerträglich! Und Turbin rief, so laut er konnte, aber es kam nur leise heraus:
»Julia!«
Aber Julia kommt nicht heraus aus dem altertümlichen Zimmer mit den goldenen Epauletten auf dem Porträt der vierziger Jahre, sie hört nicht den Ruf des Kranken. Die grauen Gestalten, die in der ganzen Wohnung und auch im Schlafzimmer zusammen mit den Turbins hin und her laufen, hätten ihn zu Tode gequält, wenn nicht der energische und geschickte Dicke mit der goldenen Brille gekommen wäre. Ihm zu Ehren kommt im Schlafzimmer noch ein Licht dazu – eine flackernde Stearinkerze auf einem schweren, schwarzen Leuchter. Die Kerze blinkt bald auf dem Tisch, bald läuft sie um Turbin herum, und über ihr läuft an der Wand der häßliche Lariossik, der einer Fledermaus mit abgeschnittenen Flügeln gleicht. Die Kerze senkt sich, weißes Stearin läuft an ihr hinunter. In dem kleinen Schlafzimmer riecht es schwer nach Jod, Spiritus und Äther. Auf dem Tisch entsteht ein Chaos von blanken Schachteln mit Lichtern auf vernickelten Spiegelchen und Bergen Watte – Weihnachtsschnee im Theater. Der Dicke, der Goldene mit den warmen Händen, gibt Turbin in den gesunden Arm eine wundertätige Spritze, und die grauen Gestalten hören nach wenigen Minuten auf, Unsinn zu treiben. Der Mörser wird auf die Veranda hinausgeschoben, so daß seine schwarze Mündung durch die verhängten Fenster gar nicht mehr so schrecklich aussieht. Das Atmen wird leichter, weil das große Rad weggerollt ist, und man nicht mehr durch die Speichen zu kriechen braucht. Die Kerze ist erloschen, und der eckige schwarze Illarion, Lariossik Surshanski aus Shitomir, ist von der Wand verschwunden. Nikolkas Gesicht ist auch gescheiter und nicht mehr so aufreizend eigensinnig, vielleicht, weil die Zeiger dank der Hoffnung auf die Kunst des goldenen Dicken etwas auseinandergegangen sind und nicht mehr so unbeugsam und verzweifelt an seinem spitzen Kinn hängen. Die Zeit geht zurück von halb sechs auf zwanzig vor fünf, und die Uhr im Eßzimmer, obwohl sie damit nicht einverstanden ist, obwohl sie ihre Zeiger immer vorwärts und vorwärts treibt, läuft jetzt nicht mehr mit dem heiseren Gebrumm des Alters, sondern tickt wie immer in sauberem, solidem Bariton – tonk! – und schlägt wie das Geläut einer Turmuhr in der Spielzeugfestung der herrlichen Gallier Ludwigs XIV. – bong! Mitternacht … höre … Mitternacht … höre … Sie schlägt warnend, und irgendwelche Hellebarden klingen angenehm silbern. Die Schildwache geht umher und wacht, denn die Türme, die Alarmsignale und die Waffen hat der Mensch, ohne es selbst zu wissen, nur zu einem einzigen Ziel geschaffen – der Menschen Haus und Herd zu schützen. Deshalb kämpft er auch, um ein anderes Ziel dürfte er nie kämpfen.
Julia, diese Egoistin, diese lasterhafte, aber berückende Frau, will nur in einem Heim der Ruhe erscheinen. Und sie kommt. Ihr schwarzbestrumpftes Bein, der pelzbesetzte Rand ihres schwarzen Überschuhs erscheint auf den leichten Backsteinstufen, und dem hastigen Geklapper und Geraschel antwortet mit plätschernden Glöckchen die Gavotte von dort, wo Ludwig XIV. in einem himmelblauen Garten am Ufer eines Sees, trunken vom eigenen Ruhm und den bezaubernden farbigen Frauen, sein
Weitere Kostenlose Bücher