Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
Vom Netzwerk:
ein Junkergesicht. Lariossik zieht Aljoschas Zivilsachen an. Mit einer Dame wird man ihn nicht anhalten«, sagte Jelena.
    Lariossik äußerte hastig die Bereitschaft, sein Leben aufs Spiel zu setzen und allein zu gehen, und lief hinaus, um Zivilkleidung anzuziehen.
    Das Messerchen war verschwunden, aber das Fieber stieg noch mehr, der Typhus trieb es hoch, und aus dem Fieber tauchte die verschwommene und dem Leben Turbins völlig fremde Gestalt eines Menschen auf, ganz in Grau.
    »Weißt du, er ist sicherlich hingepurzelt, der Graue«, sagte Turbin plötzlich deutlich und streng und sah Jelena aufmerksam an. »Das ist unangenehm. Im Grunde genommen sind sie alle Vögel. Man hätte sie in die warme Speisekammer setzen müssen, in der Wärme wären sie zu sich gekommen.«
    »Was ist, Aljoscha?« fragte Jelena erschrocken, beugte sich zu ihm und spürte die Hitze, die von seinem Gesicht aufstieg. »Ein Vogel? Was für ein Vogel?«
    Im schwarzen Anzug sah Lariossik breit und bucklig aus, die gelben Stulpen waren unter den Hosenbeinen versteckt. Er erschrak, sein Blick wurde kläglich und unstet. Auf Zehenspitzen balancierend, lief er aus dem Schlafzimmer durch die Diele ins Eßzimmer, dann durch das Bücherzimmer in Nikolkas, stürzte, streng mit den Armen fuchtelnd, zum Käfig auf dem Schreibtisch und warf das schwarze Tuch über. Aber das war überflüssig, der Vogel schlief schon längst, zu einem Federknäulchen zusammengerollt, in seiner Ecke und schwieg sorglos. Lariossik machte die Tür zum Bücherzimmer und die von dort zum Eßzimmer fest zu.
    »Es ist mir unangenehm, ach, wie unangenehm«, sagte Turbin besorgt und starrte in die Ecke. »Ich hätte ihn nicht erschießen sollen. Hör zu …« Er zog den gesunden Arm unter der Decke hervor. »Am besten wäre es, ihn einzuladen und zu fragen, warum er sich wie ein Wahnsinniger herumtreibt. Natürlich nehme ich die Schuld auf mich. Alles ist zu Ende und sehr dumm.«
    »Ja, ja«, sagte Nikolka mit schwerem Herzen, und Jelena ließ den Kopf hängen. Turbin wurde von Unruhe erfaßt, er wollte sich erheben, aber schneidender Schmerz überfiel ihn, er stöhnte und sagte boshaft:
    »Dann schafft ihn fort!«
    »Soll ich ihn vielleicht in die Küche bringen? Ich habe ihn aber zugedeckt, und er ist still«, flüsterte Lariossik aufgeregt Jelena zu.
    Jelena winkte ab: Nein, nein, das meint er nicht. Nikolka ging entschlossen ins Eßzimmer. Seine Haare waren zerzaust, er sah auf das Zifferblatt: kurz vor zehn. Die beunruhigte Anjuta trat aus der Tür ins Eßzimmer.
    »Wie geht es Alexej Wassiljewitsch?« fragte sie.
    »Er phantasiert«, antwortete Nikolka mit einem tiefen Seufzer.
    »Ach, du lieber Gott«, flüsterte Anjuta, »warum kommt der Arzt nicht?«
    Nikolka sah sie an und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Nachdrücklich sagte er Jelena ins Ohr:
    »Mach, was du willst, aber ich gehe zu ihm. Wenn er nicht zu Hause ist, hole ich einen anderen. Es ist zehn Uhr. Auf der Straße ist es vollkommen ruhig.«
    »Wir warten bis halb elf«, antwortete Jelena flüsternd, schüttelte verneinend den Kopf und wickelte die Arme in das Wolltuch. »Einen anderen zu holen gehört sich nicht. Ich weiß, er kommt noch.«
    Kurz nach zehn dringt ein schwerer, unsinnig dicker Mörser in das schmale Schlafzimmer ein. Was soll das, zum Teufel! So kann man doch nicht leben. Er nimmt den ganzen Raum ein, von einer Wand zur anderen, so daß das linke Rad gegen das Bett drückt. So kann man doch nicht leben, man wird zwischen den schweren Speichen hindurchkriechen und sich dann bücken und durch das zweite, rechte Rad zwängen müssen, noch dazu mit Sachen, und es hängen Gott weiß wieviel Sachen an seinem linken Arm, ziehen ihm den Arm nach unten, der Strick schneidet unter der Achsel ein. Es ist unmöglich, den Mörser wegzuschaffen, die ganze Wohnung ist, laut Befehl, eine Mörserwohnung geworden, und der unvernünftige Oberst Malyschew und die unvernünftig gewordene Jelena, die durch die Räder blickt, können nichts machen, um die Kanone wegzubringen oder wenigstens den Kranken in erträglichere Lebensbedingungen zu schaffen, dorthin, wo keine Mörser stehen. Die Wohnung ist dieses verfluchten, schweren, kalten Dings wegen zu einer Herberge geworden. An der Tür ertönt immer wieder die Klingel – klingeling, Besucher kommen. Oberst Malyschew huscht vorbei – plump wie ein Lappe, mit einer Ohrenklappenmütze und goldenen Schulterklappen – und bringt einen ganzen Haufen Papiere mit. Turbin

Weitere Kostenlose Bücher