Die weiße Hexe
großen Augen und dem Puppengesicht grub eifrig neben mir, und da wollte ich nicht schlappmachen. Die beschworene Gemeinsamkeit!
Anschließend mußte ich Yamswurzeln ausgraben, dicke Dinger, die tief im harten, roten Lateritboden wuchsen und schwer zugänglich waren. Die Kunst bestand natürlich darin, die Yams im Ganzen aus dem Boden zu holen. Prompt brach mir die obere Hälfte der Wurzel ab, was es noch schwerer machte, an den Rest heranzukommen.
Aber am Ende lernte ich es - mit Geduld.
Anschließend ging es an die Zubereitung von garri, das in einem mehrtägigen, mühevollen Prozeß aus der Cassavaknolle gewonnen wird. Die Knolle wird dazu geschält, mehrere Stunden gewässert und anschließend geraspelt. Die Masse kommt in einen Baumwollsack, der mit Gewichten beschwert wird, um alle Feuchtigkeit herauszupressen. Drei Tage bleibt der Sack in der Sonne stehen, am vierten wird der Inhalt in der Sonne ausgebreitet, mehrere Stunden getrocknet und anschließend in etwas Palmöl geröstet. Erst danach kann das Pulver in kochendes Wasser eingerührt und als Brei gegessen werden. Ich gebe zu, es gibt bei uns einfachere Methoden, ans Essen zu kommen. Aber wer diese Tortur der Nahrungsbeschaffung mitgemacht hat, der ißt hinterher ganz anders ...
Die Meditation vor dem Irokobaum verstand ich erst nach Stunden: Ich sollte den Baum nur ansehen. Literweise vergoß ich Schweiß, er lief mir in die Augen, ich rieb ihn weg, alles wurde schlimmer.
Mühsam suchte ich nach einer halbwegs erträglichen Sitzhaltung, eine Ablagemöglichkeit für die schwer werdenden Arme, die kribbelnden Beine, bis ich in eine Art Yoga-Position hineinfand.
Irgendwann kam der Punkt, da vergaß ich meine körperliche Qual.
Und begann den Baum tatsächlich zu sehen. Die Poren seiner Rinde, die Narben, die Farben, die kleinen Tierchen, die in ihm lebten, das kaum merkliche Spiel des Windes mit den Blättern. Ja, ich hörte den Baum, das leise Knistern der Rinde, die Vögel, die in ihm wohnten.
Am Ende der Meditation lehnte ich mich gegen die rauhe Rinde meines Baumes, umarmte und fühlte ihn. Das Abendessen nahm 229
ich in den Wurzeln des Baums sitzend ein; die Hälfte ließ ich für den Baum stehen. Die Vögel leerten die Schale. In der Nacht träumte ich tatsächlich, daß ich ein Baum war! Ein ausgesprochen lebendiger Traum, in dem ich eine Weide war, deren Äste tief ins Wasser hingen. Die Alte meinte am nächsten Morgen zu meinem Traum, daß ich mich wohl nach der Ruhe sehne, die ein Baum verströme.
Sie sagte, daß der Baum in ihrem Glauben eine symbolische Bedeutung als Verbindung zwischen Himmel und Erde habe. Nach einer langen Zeit der Trockenheit flehen seine kahlen Äste den Himmel um Wasser an.
Ich lernte das Feuerritual kennen, zu dem die Meditation am offenen Feuer ebenso gehörte wie das Laufen über glühende Holzkohle, nachdem man sich in Trance getanzt hat. Das Ritual für den Wind lehrte, durch das Erklimmen einer Kokospalme die eigene Angst zu besiegen, und schulte nebenbei die Geschicklichkeit. Unglaubliche Konzentration erforderte es, bei Nacht den schnellen Flug der Fledermäuse so zu verfolgen, daß man sagen konnte, wohin sie flogen. Zum Wasserritual gehörten das anstrengende Wäschewaschen am Fluß, die richtige Körperhaltung beim Balancieren der Wassergefäße auf dem Kopf, das Schöpfen von Wasser aus tiefen Brunnen oder das Herstellen von Kämmen und Ketten aus Muscheln. Vielfältige Schönheitsrituale lernte ich dabei kennen, angefangen bei der Herstellung von Pudern, Seifen und Ölen bis zur richtigen Anwendung der Essenzen und Farben. Das Wichtigste dabei war, den eigenen Körper zu schmücken, um zu lernen, ihn wertzuschätzen.
Eine meiner wichtigsten Lektionen war die Bestimmung der mich schützenden Gottheit. Ich erfuhr, daß ausgerechnet die Meeresgöttin Mammy water meine Schutzpatronin war, der ich aus diesem Grunde auch dienen und opfern sollte.
„Es kann nicht sein, daß eine Wassergöttm meine Göttin sein soll“, rief ich, „ich habe Angst vor Wasser!“ Ich berichtete der Alten von jenem traumatischen Erlebnis, als ich sechs Jahre alt war. Damals hatte mich mein Vater mit ins Schwimmbad genommen. „Nun spring rein, Ilona!“ forderte er. Aber ich sprang nicht. Ich hatte Angst.
Plötzlich ein harter Stoß ins Kreuz, ein Junge hatte mich gestoßen, ich flog durch die Luft, klatschte ins Wasser, verlor die Orientierung, kam nicht mehr von allein an die Oberfläche. Jemand zog mich raus. Niemals
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