Die weiße Macht
nichts.
Sie hatten beide die gleichen Haltungen eingenommen. Sehr steif im Sitzen, die Arme nach hinten gebogen, die Hände auf die Pritschen gestützt, die Arme stark durchgedrückt. Von ihren Gestalten strömte eine Kälte aus, die ich nicht als normal empfand. Es war vielmehr die Kälte einer anderen Welt, der sie sich zugehörig fühlten, und ich kam mir nicht eben wie ein Superman vor. Ich hatte meine Bedenken, spürte den leichten Kloß im Magen, der auch nach dem nächsten Schritt nicht verschwunden war. Ich ging weiter. Der dritte Schritt, dann der vierte, und vor dem fünften – die Distanz war schon zusammengeschmolzen – bewegten sich die beiden zum erstenmal. Durch ihre Körper ging ein Ruck, als sie aufstanden. Keiner von ihnen bewegte sich so geschmeidig wie ein normaler Mensch. Sie sahen aus, als hätten sie unter den Bewegungen zu leiden, denn das Aufstehen war mit großen Schwierigkeiten verbunden.
Sie standen und blieben stehen.
Zwischen uns lastete das Schweigen wie eine unsichtbare Wand. Und die Spannung stieg. Auf meinem Rücken lief eine Gänsehaut von oben nach unten, aber ich bewegte mich nicht, um sie wegzuschaffen. Statt dessen hob ich den Arm etwas an und drehte die Hand so, daß sie das Kreuz erkennen konnten.
Es erfolgte keine Reaktion!
Stille…
Ich ging weiter.
Und plötzlich spürte ich, daß sich etwas tat. Mein Kreuz erwärmte sich leicht. Es hatte die fremde Ausstrahlung wahrgenommen. Allerdings merkte ich die Wärme nur an den Rändern, wo die Insignien der vier Erzengel zu sehen waren.
Also doch.
Eine uralte Kraft stemmte sich mir entgegen, auf die mein Kreuz reagierte. Denn die Erzengel waren älter, viel älter als der verfluchte Götze Baal, dessen Goldenes Kalb durch Moses in einem Anfall von Wut zerstört worden war.
»Kommt her…«, flüsterte ich.
Keiner von ihnen rührte sich. Ich war dennoch der Meinung, verstanden worden zu sein und setzte meinen Weg fort. Dabei merkte ich, wie die Unruhe in ihnen anstieg. Sie zitterten leicht, sie kratzten mit den Händen über ihren Körper, sie wischten durch ihr Gesicht, als wollten sie die goldene Farbe abputzen.
Noch ein Schritt.
Ich war jetzt nahe, sehr nahe.
Die Zeichen glühten plötzlich in ungewöhnlichen Farben, denn auch sie hatten einen goldenen Schimmer angenommen. Gleichzeitig entdeckte ich so etwas wie einen bogenförmigen Hauch, der von meinem Kreuz ausging und die beiden Männer traf, wobei es ebensogut hätte umgekehrt sein können. Sie waren in den Kreislauf der Magie hineingeraten, und sie würden aus eigener Kraft nicht wieder hervorkommen.
Ich tat nichts mehr. Irgendwo hatte ich das Gefühl, schon zu weit gegangen zu sein und an der Grenze zu stehen.
Ihre Unruhe verstärkte sich. Beide bewegten sich von einer Seite zur anderen. Es sah so aus, als suchten sie nach einer Lücke, um aus dieser Falle herauszukommen. Der eine versuchte, einen Schritt auf mich zuzugehen. Es gelang ihm nicht. Kaum hatte er sein Bein ausgestreckt und wieder mit dem Fuß den Boden berührt, da sackte er zusammen. Er fiel in die Knie, ich hörte einen Wehlaut, der aus seinem Mund drang und sah, wie er sich nach hinten beugte. Dabei hob er die Arme an und preßte sie gegen sein Gesicht wie jemand, der sich schämt.
Der andere hatte sich gedreht und mir den Rücken zugewandt. Er wollte nicht hinschauen, vielleicht wußte er auch, was passieren würde. Ich jedenfalls sah es wenig später, als der Goldene seine Hände vom Gesicht wegnahm und ich mit ansehen mußte, wie die goldene Schicht zwischen seinen Händen und dem Gesicht wie Leimfäden klebte…
Die Messerklinge lag auf seinem nackten Rücken, und sie kam Lorenzo Amber vor wie ein langes Stück Eis, das irgendwann seine Kälte verlor und sich als heißer Strahl durch seine Haut tief in den Körper hineinbohrte.
Er schluchzte auf. Es war ihm gelungen, den Kopf zur Seite zu drehen und seine Lippen vom Mund der Frau zu lösen. Den metallischen Geschmack spürte er noch immer auf der Zunge, denn er lag dort fest wie eine zweite Haut.
Er wollte sie wegstemmen, aber Amelia ließ es nicht zu. »Nein, doch nicht jetzt«, flüsterte sie, wobei sie ihren Körper an dem seinen rieb. »Du kannst mir nicht entwischen. Ich will dich, schöner Mann. Ich werde dich auch bekommen.« Sie lachte. Es hörte sich gurrend an, und er mochte dieses Geräusch nicht.
Das Messer hielt sie immer noch fest. Er hatte die Klinge bisher nicht sehen können, mußte aber feststellen, daß er durch
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