Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
gewesen wäre« wird ganz deutlich: Es sind nicht hauptsächlich die Patienten, die das maximal Machbare fordern. Und es sind auch nicht die Angehörigen, die wesentlich für die sinnlosen Therapien am Lebensende verantwortlich sind. Verantwortlich sind mit weitem Abstand die Ärzte: Meinungsverschiedenheiten zwischen Ärzten; Angst, die Verantwortung zu übernehmen; Ehrgeiz; Unsicherheit; Mühe, den Tod zu akzeptieren, aber auch »unvollständige Informationen über die Kranken« wurden als Gründe genannt, warum Ärzte sich so schwertun, mit der Therapie aufzuhören. In Kapitel 9, »Wem können Sie trauen, was können Sie tun?«, werde ich noch einen Hinweis zur Patientenverfügung geben, mit der Sie sich mittlerweile gegen diese Gefahr absichern können. Erst seit Kurzem werden Ärzten damit tatsächlich die Hände gebunden. Noch bis vor wenigen Jahren konnten sie sich problemlos über die Patientenverfügung hinwegsetzen.
Die ungehorsame Patientin
Ich unterhalte mich regelmäßig mit Kollegen und Bekannten über die Themen, die ich gerade bearbeite. Ihr Feedback hilft mir oft, Gedanken zu sortieren, und manchmal stoße ich auf Geschichten, die unmittelbar in meine aktuellen Projekte Eingang finden. Wie zum Beispiel die Geschichte, die meine Kollegin Karin mir von ihrer Mutter erzählte, der »ungehorsamen« Patientin. Sie hatte Darmkrebs und schon einen langen Leidensweg hinter sich. Mehrere Chemotherapien und Operationen. Sie hatte einen künstlichen Darmausgang, der nicht sonderlich gut funktionierte und entzündet war. Regelmäßige Leckagen verursachten ausgedehnte Verschmutzungen. Eine schmerzhafte, peinliche, traurige Situation. Eine positive Perspektive sah Karins Mutter nicht mehr. Auch das Angebot eines Chirurgen, er könne ihr noch einen »anderen Ausgang« machen, hatte nichts Verlockendes mehr. In Absprache mit ihrem Mann und ihrer Tochter verfasste sie eine Patientenverfügung, in der sie jede weitere kurative Behandlung ablehnte. Die Mediziner sollten die quälenden Heilversuche aufgeben.
Karin erzählt, der Oberarzt habe, nachdem er von der Patientenverfügung ihrer Mutter erfahren habe, einen »feldwebelmäßigen Auftritt« hingelegt. Er habe sich vor ihrer todkranken Mutter aufgebaut und sie angeherrscht, ob sie sich das auch gut überlegt habe. Meine Kollegin hatte in diesem Moment befürchtet, dass ihre Mutter dem Druck nicht würde standhalten können. Dass sie zurück in die Mühlen der Medizin sinken würde und sich weiteren Torturen würde unterziehen müssen. Aber die 80-Jährige hielt an ihrer Entscheidung fest. Wenige Wochen später schied sie aus dem Leben und ließ damit auch ihr Leid hinter sich.
Geschichten wie diese finde ich erschütternd. Warum gibt es so viele Mediziner, die das nicht können: gemeinsam mit ihren Patientinnen und Patienten am Ende den Tod als eine sinnvolle Option in Betracht ziehen. Als Ende des Leidens? Wie können sich Mediziner – wie in diesem Fall – anmaßen, ihre Patientinnen und Patienten derart zu bevormunden? An unheilbar kranken Menschen bis zum letzten Moment herumzudoktern raubt dem Tod die Würde. Weil es das Sterben als etwas anspricht, was mit aller Macht und bis zum Schluss bekämpft werden muss. Wie sehr wird damit diese letzte Episode zu einer bösen gemacht? Zur ärztlichen Kultur muss auch der Respekt vor diesen letzten Schritten im Leben eines Menschen gehören. Der Respekt davor, dass diese letzten Schritte, soweit irgend möglich, in einem selbstbestimmten Raum stattfinden können. Und wann immer möglich, friedlich und nicht im Kampf.
Daten zur Übertherapie am Lebensende
Belastbare quantitative Daten zur Überbehandlung am Ende des Lebens zu erhalten ist bisher nur schwer möglich. Schon die Studien, die unnötige chirurgische Eingriffe im »medizinischen Alltagsgeschäft« enttarnen, sind rar. Nach meiner Recherche hat bisher noch niemand gezielt versucht, die (Über-)Versorgung von »terminal Kranken« wissenschaftlich quantitativ zu bewerten. Schließlich erforderte das eine Studie, in der eine Patientengruppe aufwendig behandelt würde und der zweite Studienarm nur eine »Grundversorgung« bekäme. Welche Patienten, welche Angehörigen würden sich darauf einlassen? Jeder vermutet doch Vorteile durch mehr Medizin.
Außerdem wäre eine Placebokontrolle unmöglich, denn die aufwendige Behandlung unterscheidet sich in jedem Fall erkennbar von der preiswerteren Variante. Mehr Diagnose mit bildgebenden Verfahren wie CT, MR und
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