Die Weisse Massai
daß ich in Kenia bleiben und nicht mehr in die Schweiz zurück will, sagt er: »It’s okay. You stay now with me!« Glücklich versuchen wir, uns zu unterhalten, als Jutta und der Bote uns verlassen. Lketinga bedauert, wir könnten nicht zu ihm nach Hause, da Trockenzeit sei und Hungersnot herrsche. Außer etwas Milch gebe es nichts zu essen, und ein Haus sei auch nicht vorhanden. Ich erkläre ihm, mir sei alles recht, wenn wir nur endlich zusammensein können. So schlägt er vor, zuerst nach Mombasa zu fahren. Sein Zuhause und seine Mutter könne ich später kennenlernen, aber seinen kleinen Bruder James, der in Maralal die Schule besucht, will er mir unbedingt vorstellen. Er ist der einzige aus der Familie, der zur Schule geht. Ihm könne er sagen, daß er mit mir in Mombasa sei, und wenn James in den Schulferien nach Hause zur Mutter gehe, könne er sie informieren.
Die Schule liegt etwa einen Kilometer außerhalb des Dorfes. In der Schule geht es streng zu. Auf dem Schulhof sind Mädchen und Knaben getrennt. Alle sind gleich angezogen, die Mädchen in einfachen, blauen Kleidern, die Knaben in blauen Hosen und hellem Hemd. Etwas abseits warte ich, während Lketinga langsam auf die Jungen zugeht. Bald starren alle auf ihn, dann auf mich. Er spricht mit ihnen, und einer läuft los und kommt mit einem anderen zurück. Dieser geht auf Lketinga zu und begrüßt ihn respektvoll. Nach einer kurzen Unterhaltung kommen beide zu mir. James streckt mir seine Hand entgegen und begrüßt mich freundlich. Ich schätze ihn auf etwa sechzehn Jahre. Er spricht sehr gut Englisch und bedauert, daß er nicht ins Dorf mitkommen kann, denn jetzt sei nur eine kurze Pause, und abends gebe es keinen Ausgang, lediglich an den Samstagen etwa zwei Stunden. Der Headmaster sei sehr streng. Schon läutet die Glocke, und in Windeseile sind alle wieder verschwunden, auch James.
Wir gehen ins Dorf zurück, und ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns ins Lodgingzimmer verziehen würden. Aber Lketinga wendet lachend ein: »Hier ist Maralal, nicht Mombasa.« Anscheinend gehen Mann und Frau nicht zusammen ins Zimmer, bevor es dunkel ist, und selbst dann noch möglichst unauffällig. Nicht, daß ich mich so sehr nach Sex sehne, ich weiß ja, wie er abläuft, aber etwas Nähe nach all den Monaten könnte ich gut vertragen.
Wir schlendern durch Maralal, wobei ich etwas Abstand halte, da sich dies anscheinend gehört. Ab und zu spricht er mit einigen Kriegern oder Mädchen. Während mich die Mädchen, alle sehr jung und schön geschmückt, nur schnell mit einem neugierigen Blick streifen und dann verlegen kichern, starren mich die Krieger länger an. Es wird geredet, wohl meistens über mich. Mir ist das etwas unangenehm, da ich nicht deuten kann, was hier abläuft. Ich kann es kaum erwarten, daß es endlich Abend wird.
Auf dem Markt kauft Lketinga sich ein Plastikbeutelchen mit rotem Farbpulver. Er zeigt dabei auf seine Haare und seine Kriegsbemalung. An einem anderen Stand verkauft jemand grüne Stengelchen mit Blättern daran. Sie sind zusammengebunden zu Bündeln von etwa zwanzig Zentimetern Länge. Hier herrscht richtiges Gezänk zwischen fünf oder sechs Männern, die das Zeug begutachten.
Auch Lketinga steuert auf diesen Stand zu. Schon nimmt der Verkäufer Zeitungspapier und wickelt zwei Bündel ein. Lketinga zahlt einen stattlichen Preis dafür und läßt das Paket schnell unter seinem Kanga verschwinden. Auf dem Weg zum Lodging kauft er mindestens zehn Kaugummis. Erst im Zimmer frage ich nach diesem Kraut. Er strahlt mich an: »Miraa, it’s very good. You eat this, no sleeping!« Er packt alles aus, nimmt den Kaugummi in den Mund und entfernt die Blätter von den Stielen. Mit den Zähnen schält er die Rinde von den Stengeln und kaut sie zusammen mit dem Kaugummi. Fasziniert sehe ich ihm zu, wie elegant er das wiederholt mit seinen schönen, schlanken Händen. Auch ich probiere davon, spucke es aber gleich wieder aus, es schmeckt mir viel zu bitter. Ich lege mich aufs Bett, betrachte ihn, halte seine Hand und bin glücklich. Die ganze Welt könnte ich umarmen. Ich bin am Ziel. Ihn, meine große Liebe, habe ich wiedergefunden. Morgen früh fahren wir nach Mombasa, und ein herrliches Leben wird beginnen.
Ich muß eingeschlafen sein. Als ich wieder erwache, sitzt Lketinga immer noch da und kaut und kaut. Auf dem Boden sieht es mittlerweile wüst aus. Überall liegen Blätter, abgeschälte Stengel und ausgespuckte grüne, zerkaute Klumpen.
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