Die Weiße Ordnung
schluckte.
Aber warum abschirmen? Er nickte. Schutz war notwendig, weil Magier natürlicherweise Chaos in sich trugen – oder sich darin einhüllten. Besser das Chaos von außen nehmen und in die gewünschten Bahnen lenken …
»Große Gedanken und Worte …« Die Wörter tröpfelten förmlich von seinen Lippen und er sah sich in der dunklen Zelle um. Die Vorstellung fiel ihm nicht schwer. Sie jedoch in die Tat umzusetzen und die anderen damit zu überzeugen würde schon schwerer werden.
Erneut umspielte ein Lächeln seine Lippen. Myral hatte ihm einen völlig neuen Seitenkanal zugeteilt und keiner war in der Nähe, der ihn beobachten konnte.
LXXV
D er Kampf zwischen Weiß und Schwarz, zwischen dem Guten und Richtigen und auf der anderen Seite der Macht der Dunkelheit, wird so lange fortdauern, wie die Welt Bestand hat; denn sobald die Gilde einen krummen Ast der Dunkelheit gekappt hat, sprießt ein neuer aus der Niederträchtigkeit der Welt.
Als die alten Weißen Magier den dunklen Wald von Naclos endlich unterjocht und das große und friedliche Land Cyador gegründet hatten, glaubten sie, sie hätten die Dunkelheit für immer verbannt; doch die dämonischen Mächte erhielten mächtige Hilfe von jenseits der Welt und der Schwarze Magier Nylan zerstörte das Gefängnis, welches das gute und richtige Werk Cyadors war, und befreite den dunklen Wald.
Als vor langer Zeit Westwind sich die Länder des Westens aneignete, bauten gleichzeitig die Weißen Magier die Länder des Ostens wieder auf und ließen sie zu Bastionen des Lichts und des Wohlstandes gedeihen; und sie gründeten die Stadt des Lichts, ein Leuchtfeuer, das der ganzen Welt zeigen sollte, dass das Licht, so wie die Sonne, von der es stammt, die Dunkelheit immer erobern wird.
Dann, nach Jahren der Zwietracht und des Kampfes, stürzten schließlich die Weißen Brüder der Gilde die Tyrannei Westwinds. Doch noch bevor der letzte Stein gefallen war, bevor die letzte Dämonin auf die besudelten Höhen niedersank, hatte der Schwarze Wind-Magier Creslin schon eine neue Zuflucht der Dunkelheit gegründet: auf der Ödnis der Insel Recluce.
Und die Zeit wird kommen, da wird Recluce entzweit und gespalten sein und eine Schwarze Festung wird sich erheben, denn die Dunkelheit wird niemals endgültig besiegt werden können, nur unterjocht und in Schach gehalten, so lange die Rechtschaffenen sich darum bemühen …
Und doch sollten wir diese Bemühungen nicht als vergeblich ansehen, denn mit jeder Anstrengung sind die Mächte des Lichts ihrem Ziel näher gerückt, Frieden und Wohlstand zu schaffen, die Voraussetzungen für das Leben jener, die sich für den Weg des Lichts entscheiden.
D IE F ARBEN DER W EISSE
(Handbuch der Gilde von Fairhaven)
Vorwort
LXXVI
C erryl stapfte in der größten Hochsommerhitze durch die Straßen und führte gewissermaßen seinen eigenen kleinen Umzug an, so wie an fast jedem Spätnachmittag seit mehr als zwei Jahreszeiten. Er kämpfte noch immer damit, das Chaos von seinem Körper fern zu halten, und er musste sich aufs Höchste konzentrieren, damit er Chaos nur aus seiner Umgebung zog und es nicht in sich selbst speicherte, so wie Jeslek es tat.
Er war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, dass er auf diese Weise weniger ermüdete. Das konnte jedoch auch davon herrühren, dass er sich angewöhnt hatte, immer die richtige Chaos-Form zu wählen, oder er versuchte es zumindest. Die goldgelbe Lichtlanze für breite Flächen, wo mehr Chaos benötigt wurde, und kürzere, dreifarbige Lichtlanzen für enge Ecken und Winkel des Tunnels.
Ab und zu bediente er sich auch noch der gewöhnlichen Feuerstöße, doch diese erforderten mehr Energie, wirkten dafür aber auch eindrucksvoller.
Eine heiße Sommerbrise aus Süden blies über seinen Nacken, als er stur einen weiß gestiefelten Fuß vor den anderen setzte und die Schweißbäche zu vergessen versuchte, die unter der zu dicken Wolltunika über seinen Rücken liefen.
Cerryl schaute nach links auf das grüne Schild über einer offen stehenden Tür – das Schild zeigte einen Widder aus Weißbronze mit geschwungenen goldenen Hörnern. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, wenn er daran dachte, wie gut ein kühles Bier jetzt wohl schmecken würde. Das Getöse von klirrenden Humpen und zusammenhanglosen Gesängen aus dem Goldenen Widder dröhnte auf die Straße, als Cerryl an der Tür vorbeiging. Cerryl runzelte die Stirn, denn die Lieder lösten einen kurzen stechenden
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