Die Weiße Ordnung
die Straße wäre mit Seelen gepflastert. Er presste die Lippen aufeinander und versuchte sich zu entspannen – so weit das möglich war, denn der Wagen wurde schneller auf den glatten, weißen Steinen der Magierstraße, die nun genau nach Westen führte. Richtung Fairhaven.
XXV
C erryl wischte sich den Schweiß von der Stirn. Trotz der trockenen Brise schwitzte er in der Mittagssonne. Seine Augen blickten über das Gespann hinweg auf die Straße, die so gerade war, dass Cerryl ihren höchsten Punkt in mehr als zweihundert Ellen Entfernung deutlich sehen konnte.
Auch nach einem halben Tag staunte er immer noch über die Straße – sie war so eben, dass der Steinweg auf Dylerts Grundstück grob dagegen erschien, und Meile für Meile wurde sie zu beiden Seiten von niedrigen Steinmauern gesäumt. Auf den Innenseiten der Mauern verliefen links und rechts Entwässerungsgräben, je eine halbe Elle breit und aus den gleichen glatten Steinblöcken erbaut wie die Straße. Alle fünfzig Ellen gab es einen Abfluss durch die Mauer. Nicht ein Grashalm oder sonstiges Unkraut verunstaltete die Steingebilde.
Cerryls Blick wanderte nach links, zur Südseite der Straße, wo die rosaweiße Mauer etwa fünfzehn Ellen zu dem fast ausgetrockneten Bachbett hin abfiel.
»Was weißt du noch über die Magierstraßen?«, fragte Cerryl.
»Was gibt es da schon zu wissen?«, entgegnete Rinfur. Nicht einen Augenblick lang wandte er den Blick vom Pferdegespann. »Mein Großvater fuhr schon auf den Straßen und sein Großvater auch.«
»So alt sehen die Straßen gar nicht aus.« Cerryl besah die niedrige Steinmauer zu seiner Linken. Die exakt geschnittenen Kanten und leicht abgerundeten Ecken wirkten, als hätte man sie erst in den letzten Jahren behauen. Doch er fühlte Dunkelheit und Alter in den Steinen, etwas, das man nur spüren und nicht sehen konnte.
»Sie sind alt.« Rinfur lachte. »Es wird erzählt, dass der Schwarze Dämon Creslin … nun, die Weißen zwangen ihn, die halbe Straße zu bauen, bevor er flüchtete; deshalb floh er auf die Schwarze Insel, um von dort aus Fairhaven zu stürzen. Die Insel gibt es nun schon seit Generationen, aber nichts ist passiert. Sieht auch nicht so aus, als würde irgendwann einmal etwas passieren.«
Cerryl schauderte, als er auf die Straße sah, so gerade, so geordnet, so vollkommen. Vor ihnen tauchte eine dünne, nebelartige Staubwolke auf, die einen Wagen einhüllte.
»Da rüber … los … Brrrhhh!«, rief Rinfur. Das Gespann fuhr auf die rechte Seite.
Neugierig beobachtete Cerryl den entgegenkommenden Wagen. Er wurde von einem Gespann aus vier gleichen Grauen gezogen. Die zwei Männer auf dem Kutschbock trugen blaue Uniformen. Der Kutscher zog fast unmerklich an den Zügeln und der Wagen, der noch länger war als Dylerts Langholzwagen, fuhr näher an die südliche Mauer.
Die Messingverzierungen des Wagens blitzten in der Mittagssonne wie Goldgespinst und die blaue Farbe der Uniformen glänzte metallisch. Eine braune Wagenplane war über die Ladefläche gespannt und verbarg die Ladung.
Hinter dem Wagen ritten vier Lanzenreiter in den gleichen blauen Uniformen, wie sie jene getragen hatten, die den abtrünnigen Magier verfolgt hatten. Cerryl zwang sich, aufrecht zu sitzen und im Vorbeifahren gleichgültig zu grüßen.
Die Räder des blauen Wagens wirbelten weißen Staub in die Luft auf ihrem Weg Richtung Lydiar, wie Cerryl vermutete. Weder der Kutscher noch der Soldat neben ihm schenkten Cerryl oder Rinfur auch nur die geringste Beachtung. Den Lanzenreitern dahinter schienen sie ebenso gleichgültig zu sein.
»Weißt du, wessen Wagen das war?«, fragte Cerryl.
»Vielleicht der des Herzogs – die Farben des Wagens und der Begleitung würden passen«, antwortete Rinfur. »Kommt gerade aus Fairhaven zurück. Wenn man es in Lydiar oder Fairhaven nicht schafft, sagen die Leute, dann schafft man es nirgends.« Rinfur lachte vergnügt in sich hinein. »Außer auf Recluce, aber das darf man nicht zu laut sagen.«
»Warum spricht niemand über Recluce?«, fragte Cerryl.
»Weil das gefährlich ist, besonders in Fairhaven. Die Weißen mögen die Schwarzen nicht sonderlich. Haben es noch nie getan und werden es auch niemals, nicht nachdem der Schwarze Dämon Nylan das alte Cyador zu Fall und die Dunkelheit über Candar brachte.« Rinfur schüttelte den Kopf und warf einen Blick über die Schulter. »Genug geredet, Bursche. Dylert sagt, du kannst lesen und dass du Lehrling wirst bei
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