Die Weiße Ordnung
steuern, müssen wissen, dass der Äther selbst sich so verhält, als würde er der Ordnung dienen und sich gegen die Chaos-Energien drängen, die vom Magier gebündelt werden …
Auch das sagte Cerryl nichts. Zumindest glaubte er das. Auf seiner Stirn stand trotz der Kühle der Nacht der Schweiß, aber er las weiter.
… sodass sich eine Reihe von vielen kleinen Chaos-Feuern zu einer Feuerkugel von solch elementarer Kraft zusammenfügt, wenn sie mittels eigener Kraft über die kürzeste Entfernung geschleudert werden …
Cerryl las einfach weiter. Vielleicht verstand er einfach noch nicht genug. Vielleicht.
Wie lange er gelesen hatte, wusste er nicht. Er wusste nur, dass sich sein Kopf anfühlte, als drehte er sich auf seinen Schultern und wäre gefüllt mit brennenden Sägespänen, als er das Buch schließlich wieder in den Schrank legte und die Tür verschloss. Der Schlüssel wanderte zurück in die Nische und Cerryl schlich leise in seine Kammer.
Er schloss die Tür und blickte stirnrunzelnd durch die Dunkelheit zu seinem Bett. Ihn beschlich das Gefühl, dass er beobachtet wurde, obwohl sich nichts bewegte. Nicht das leiseste Geräusch regte sich außer dem Wind.
Schaudernd schlüpfte er schließlich unter die Bettdecke und merkte, dass seine Füße kalt wie Eisblöcke waren. Er schauderte noch einmal und hätte es noch ein weiteres Mal getan, wären seine Augenlider nicht schon zu schwer gewesen.
XXXIX
C erryl sah von seinem behelfsmäßigen Schreibtisch am Ende des Arbeitstisches auf, wo das Buch Kräuter und die Heilkraft derselben aufgeschlagen lag. Verzweifelt unterdrückte er ein Gähnen. Das nächtliche Lesen verlangte seinen Tribut, besonders am späten Nachmittag, und Cerryl wagte es nicht zu gähnen, wenn Tellis in der Nähe war. Nicht auffällig jedenfalls.
»Ah, schon wieder schläfrig, wie ich sehe«, bemerkte der Meisterschreiber am Schreibtisch, wo er über den Farben der Weiße brütete. »Du hast dich wohl wieder mit Geschichte beschäftigt?«
»Ich habe gelesen«, antwortete Cerryl wahrheitsgemäß. »Es gibt so vieles, was ich nicht verstehe.« Seine Nase kräuselte sich bei dem leichten Geruch, den die abgenutzte Oberfläche des Arbeitstisches ausströmte – oder handelte es sich um die weggeworfenen Galläpfel, die auf dem Grund des Abfalleimers vor sich hin faulten?
»Dann solltest du fragen«, meinte Tellis, der seine Augen schon wieder auf die Farben der Weiße gerichtet hielt und mit ruhiger Hand die Buchstaben auf das Jungfernpergament malte. »Was verstehst du denn nicht?«
Cerryl tauchte seinen eigenen Federkiel ein und schrieb noch einen Augenblick weiter, bevor er antwortete. »Vieles.« Er hielt inne, um dafür zu sorgen, dass sich die Feder in sicherem Abstand zum Pergament befand, bevor er weitersprach. »Es werden Eisenvögel erwähnt, die den Weißen Weg nach Candar brachten, doch über die Zeit vor Cyador wird nichts berichtet.«
»Ich dachte, du hättest Fragen über Begebenheiten, die schwer zu verstehen wären.« Tellis schrieb weiter, die Augen auf das Buch gerichtet; die Feder verschwand zwischen seinen flinken und sicheren Fingern.
»Das auch, Meister Tellis.« Cerryl nickte und schrieb wieder ein paar Worte. Seine Gedanken gerieten wild durcheinander, als er sich an etwas zu erinnern versuchte, das man als verwirrend bezeichnen konnte.
»Wie zum Beispiel?«, drängte Tellis.
»Nun ja, es gibt so vieles … zum Beispiel Westwind, das verstehe ich nicht. Wie kann jemand auf dem Dach der Welt leben? Heute wohnt niemand mehr dort. Die Geschichte besagt jedoch, dass es damals noch viel kälter war als heute, und dennoch war Westwind nur Erfolg beschieden, solange es kalt war.« Cerryl hätte am liebsten zufrieden darüber gelächelt, dass ihm diese Frage noch schnell eingefallen war. Doch stattdessen tauchte er die Feder wieder in die Tinte und schrieb weiter.
»Oh, Cerryl.« Tellis seufzte laut. »Du liest und verstehst die Worte und dennoch siehst du nicht, was du vor dir hast. Als die Winter noch kälter waren, konnten nur die Engel das Leben auf dem Dach der Welt ertragen, die meiste Zeit des Jahres jedenfalls; und somit mussten sie nicht viel Gold und Anstrengung auf ihre Verteidigung verwenden. Nur wenige erreichten ihre Zitadelle. Nach der großen Veränderung wurden die Winter wärmer, da erinnerten sich die westlichen Länder wieder an das, was ihnen einst gehört hatte, und sie versuchten, diese Gebiete zurückzuerobern. Die
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