Die Weiße Rose
Vorkriegszeit berief.
In der Zeit vor 1900 schlossen sich bürgerliche Jugendliche zu Vereinigungen zusammen, in denen man sich traf, zusammen musizierte und lange, teilweise mehrwöchige, Wanderungen unternahm. In den allermeisten Vereinigungen wurden Jungen und Mädchen getrennt, so wie es damals üblich war. Hier fanden die jungen Männer eine Möglichkeit, wenigstens zeitweise den Zwängen der bürgerlichen Gesellschaft zu entfliehen. Kameradschaft trat an die Stelle von Konkurrenzdenken. Eine neuromantische Liebe zur Natur, zum einfachen Leben und zur deutschen Heimat ersetzte den schulischen Leistungsdruck. Diese kunterbunten und selbst verwalteten Organisationen, die bekannteste von ihnen ist der „Wandervogel“, zogen singend „Aus grauer Städte Mauern“und suchten die Befreiung von schulischem Zwang und elterlicher Bevormundung.
In ihrem Umfeld entstand eine eigene Kultur mit einer eigenen Kluft, eigenen Ritualen, einer eigenen Sprache und eigenen Liedern. Die „Fahrtenlieder“ des Wandervogels erzählten vom freien und unbürgerlichen Leben der Vagabunden, Seeleute und Landsknechte. Sie griffen dazu auf Melodien zurück, die oft schon sehr alt waren. Mit Landsknechtliedern und anderen Volksliedern wollte man auf eine verschüttete antibürgerliche deutsche Kulturtradition zurückgreifen.
Der Wandervogel und seine lokalen Unterorganisationen wollten eine unpolitische, überkonfessionelle Vereinigung von Bürgerkindern sein. Dem Zeitgeist der deutschen Kaiserzeit entsprechend waren seine Mitglieder allerdings oft antisemitisch und deutschnational eingestellt. Man grenzte sich ab von den anderen kirchlichen, sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Jugendvereinigungen, die eigene politische Forderungen nach einer Reform der verkrusteten Gesellschaft aufstellten. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg schuf sich die Wandervogelbewegung eine eigene Infrastruktur. Die Jugendherbergen gehen auf diese Zeit zurück.
Die idealistischen Wandervögel meldeten sich in Scharen freiwillig, als der Erste Weltkrieg begann. Sie freuten sich darauf, ihre Liebe zur deutschen Kultur und zur deutschen Heimat tatkräftig unter Beweis stellen zu können und sie hofften, dass der Krieg die verhasste bürgerliche Gesellschaft in eine völkische Gemeinschaft verwandelte, in der die Werte des Wandervogels galten. Eine neue, bessere Welt sollte nach dem deutschen Sieg entstehen. Die meisten der Träumer kehrten nicht zurück.
Die Ideen des Wandervogels wurden in der Weimarer Republik von einer neuen Generation von Bürgerkindern aufgegriffen. Es entstanden verschiedene Jugendbünde, die sich in Kleidung, Ritualen und Liedern von einander unterschieden. Als Gemeinsamkeit hatten sie die Fahrten und die Ausrichtung auf ein bürgerliches Publikum. Sie standen politisch auf der rechts-nationalen Seite und damit oftmals der HJ nahe.
Die NS-Vereinigung hatte manche Merkmale der bündischen Jugend wie einzelne Symbole, die Landsknecht-trommeln und einige Feuerrituale übernommen. Die Übergänge zwischen bündischer Jugend und HJ waren fließend. Hans Scholl lernte die bündische Jugend deshalb ausgerechnet in der HJ kennen.
Um einer Gleichschaltung und einer Zwangseingliederung in die HJ zu entgehen, schloss sich am 30. März 1933 ein wichtiger Teil der Bünde zum Großdeutschen Bund zusammen. Vorsitzender wurde der ehemalige Vizeadmiral von Trotha. Ganz im Stil der „neuen Zeit“ verkündete die Bundesführung, man wolle „um die Eingliederung in die nationalsozialistische Bewegung und um den bündischen Lebensraum“ kämpfen. 39
Gleich am Tag seiner Ernennung zum Reichsjugend-führer verbot Baldur von Schirach den Großdeutschen Bund. Auch alle anderen Organisationen der bündischen Jugend wurden verboten, mit Ausnahme der völkischen „Artamanen“, denen der SS-Führer Heinrich Himmler angehört hatte.
Die HJ-Führung hatte damit einige mitgliederstarke Konkurrenzorganisationen beseitigt. Nach dem Sieg des Nationalsozialismus durfte es nur noch eine staatliche Jugendorganisation geben. Die ehemaligen Mitglieder der bündischen Jugend sollten deswegen in die HJ eintreten.
Eberhard Koebel, der Anführer der bündischen Deutschen Jungenschaft vom 1. 11. (d. j. 1. 11) forderte die Mitglieder seiner Gruppierung auf, der HJ beizutreten. Koebel, der sich tusk nannte, gehörte, was für einen Bündischen eher ungewöhnlich war, vor 1933 der KPD an. Nach Hitlers Machtübernahme trat er zu den Nationalsozialisten über.
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