Die Weiße Rose
Deutschland nicht bewerben.
Im Oktober 1937 trat Hans Scholl, der ein ausgezeichneter Reiter war, seinen Wehrdienst bei einer Kavallerieeinheit in Bad Cannstatt an. Die sich als Elite verstehende Reitertruppe war noch wenig von NS-Anhängern durchsetzt. Mit Pferden hatte er dort allerdings nicht mehr viel zu tun. Der Reiter Scholl wurde zum Krad-Melder ausgebildet. Er lernte Motorradfahren.
Während er nichts ahnend seinen Wehrdienst ableistete, schlug die Gestapo zu. In einer für Hitlers Geheimpolizei typischen Nacht-und-Nebel-Aktion wurde der Kavallerist Hans Scholl wegen „bündischer Umtriebe“ verhaftet, und seine Geschwister gleich mit. Der Geistesgegenwart ihrer Mutter ist es zu verdanken, dass Hitlers Schergen kein belastendes Material im Elternhaus fanden. Es gelang ihr, die Beweisstücke an den Beamten vorbei in ihrem Einkaufskorb aus dem Haus zu schmuggeln. Ihre Kinder wurden trotzdem mitgenommen und in Stuttgart acht Tage lang in Untersuchungshaft gehalten. Durch die mutige Tat Magdalena Scholls konnten die Gestapobeamten ihnen aber nichts nachweisen. Sie hatten noch einmal Glück gehabt. Anders als Hans war Werner Scholl, der jüngere Bruder, bereits 1932 in die bündische Jugend eingetreten. Er lehnte die HJ ab und weigerte sich, dort Mitglied zu werden. Ein Freund Werners aus dieser Zeit war Fritz Hartnagel, der spätere Verlobte von Sophie und Mann von Elisabeth Scholl.
Hans traf es härter. Er wurde nicht nur der Mitgliedschaft bei der d. j. 1. 11 beschuldigt. Wie SönkeZankel nachweist, wurde ihm nach § 175 „homosexuelle Unzucht an Schutzbefohlenen“ 42 vorgeworfen, also der homosexuelle Missbrauch von Minderjährigen. In der homophoben Atmosphäre des „Dritten Reiches“ war dies eine sehr schwere Anschuldigung. Sie bedeutete eine mögliche Haftstrafe im Zuchthaus oder gar im KZ. Für die Familie eines Beschuldigten bedeutete eine Anklage wegen Homosexualität die soziale Ächtung. Somit war das anrüchige Verfahren gegen seinen ältesten Sohn für den selbstständigen Wirtschaftsprüfer Robert Scholl auch wirtschaftlich ein schwerer Schlag.
Hans war verzweifelt. Aus dem Untersuchungsgefängnis schrieb er an seine Eltern:
„[...] Ich danke Vater vielmals, daß er gekommen ist. Er hat mir wieder Hoffnung gebracht. Es tut mir so unendlich leid, daß ich dieses Unglück über die Familie gebracht habe, und in den ersten Tagen meiner Haft war ich oft der Verzweiflung nahe. Aber ich verspreche Euch: Ich will alles wieder gut machen; wenn ich wieder frei bin, will ich arbeiten und nur arbeiten, damit ihr wieder mit Stolz auf Euren Sohn sehen könnt.“ 43
Seine Eltern ließen ihn nicht alleine. Sein Vater versuchte umgehend, eine juristische Verteidigung für seinen Sohn auf die Beine zu stellen. Er wandte sich an den Kompaniechef von Hans. Der militärische Vorgesetzte schätzte Hans Scholl sehr. In diesem Fall waren ihm aber dieHände gebunden. Trotzdem lehnte er sich weit aus dem Fenster und verfasste ein positives Gutachten, das der Gestapo vorgelegt wurde.
Den Eltern war die Gefahr der sozialen Ächtung egal. Es ging um ihre Kinder. Auch in dieser Krise bewährte sich der starke Zusammenhalt der Familie.
Zankel nimmt an, „dass die Vorwürfe wegen § 175 vom nationalsozialistischen Staat nicht erfunden waren“. 44 Er verweist auf „detaillierte Schilderungen von Jugendlichen, die sich die Gestapo sicher nicht ausgedacht hat“. 45
Die Anklage wegen angeblicher Homosexualität war im NS-Staat oftmals politisch motiviert. Mit ihrer Hilfe sollten weltanschauliche Gegner moralisch diskreditiert und somit ausgeschaltet werden. Zur gleichen Zeit, in der die Gestapo gegen die „bündischen Umtriebe“ vorging, gab es ebenfalls eine Kampagne gegen katholische Ordensgeistliche. Die Goebbels-Propaganda, in der die katholische Kirche als „Krebsschaden am gesunden Volkskörper“ 46 bezeichnet wurde, stellte Klöster als „undeutsche“ Brutstätten von Homosexualität und Pädophilie dar. 417 Geistliche wurden im Verlauf der Kampagne unter dem Vorwurf des Verstoßes gegen § 175 oder wegen „Devisenvergehen“ eingesperrt. 108 von ihnen starben im KZ.
Hans Scholl musste fünf Wochen in Untersuchungshaft bleiben. Als wegen des „Anschlusses“ eine allgemeine Amnestie verkündet wurde, entfiel das Gerichtsverfahren. Er kehrte zu seiner Einheit zurück. Die unangenehmeAffäre fiel in eine Zeit, in der es mit dem „Dritten Reich“ nur aufwärts zu gehen schien.
Der sogenannte
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