Die Weiße Rose
jeder von uns auf die Todesstrafe vor. Langsam überwand man die Furcht vor dem Tode. Nur ein Gefühl quälte jeden von uns: nicht genug gegen das verbrecherische System getan zu haben. Man hatte das Gefühl, man gibt sein Leben zu billig her.
Inzwischen aber lief die Justizmaschine auf Hochtouren. Nur Prof. Huber und Alexander Schmorell erhielten Wahlverteidiger, während uns anderen Pflichtverteidiger zugeteilt wurden. (Mein Wahlverteidiger, der mir von meiner Mutter und Geheimrat Prof. Arnold Sommerfeld gestellt wurde – Herr Dr. Alexander Bayer, München – wurde von Freisler ohne Begründung abgelehnt). Deutlich erinnere ich mich an das einzige und erste Gespräch mit dem Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt Klein, München, Ludwigstraße 17 , der mir u.a. auf meine Frage, wie man sich vor dem Volksgerichtshof verhalten solle, sagte: »Das ist völlig unwesentlich. Nennen Sie mir einflußreiche Persönlichkeiten für ein Gnadengesuch.«
Am 16 . April 1943 traf die Anklageschrift ein, die auf Hochverrat, Landesverrat, Zersetzung der Wehrkraft, Aufbau illegaler Organisationen etc. lautete.
Der Prozeß gegen Schmorell und zehn andere
Am 19 . April 1943 , morgens um 5 Uhr, wurde ich geweckt, rasiert und kam in die sog. Empfangszelle. Wenige Minuten später kam Willi Graf hinzu. Wir beide wurden in den Gefängnishof geführt. Dort stand ein grüner Gefängniswagen. Die Tür öffnete sich und wir erblickten Prof. Huber, Alexander Schmorell und die anderen Angeklagten, darunter die Geschwister Hans und Susanne Hirzel, Eugen Grimminger, Heinz Bollinger, Franz Müller, Heinrich Guter, Helmut Bauer. Wir stiegen ein und die Fahrt zum Justizpalast, quer durch München begann. Es war eine sehr ernste, schwere Stimmung, aber trotzdem herrschte eine tiefe Harmonie unter uns allen. Durch einen kleinen Schlitz konnte man ab und zu Ausschnitte aus dem Münchener Stadtbild erhaschen. Es war ein strahlender Tag draußen. Leise sagte ich zu Prof. Huber: »Das schöne München …« und meinte damit den grauenhaften Kontrast zwischen dieser Brückenstadt zum Süden, dieser schönen Stadt der Kunst und dem blutigen, brutalen Naziterror. Huber verstand mich, sah mich an und sagte: »Wen Gott lieb hat, den züchtigt er.«
Im Hof des Justizpalastes empfing uns ein Polizeikordon. Die Hände wurden uns gefesselt, und wir kamen hinauf in die große Wartezelle, zum ersten Male alle gemeinsam. Schweigend studierten wir die Wände, erschütternde Zeugnisse legten sie ab von Menschen, die zum Tode verurteilt worden waren. Viele glühende Bekenntnisse zur Freiheit, zum sozialistischen Staat. Viele verdammende Urteile über den Nationalsozialismus standen hier mit schöner Schrift und ungelenker, kaum lesbarer Schrift. – Nur ein paar Wortbrocken konnten wir wechseln, da wir streng beaufsichtigt wurden. Schmorell war schweigsam, er hoffte auf nichts mehr, Willi Graf, sonst still, war jungenhaft offen. Er sagte leise: »Ach, zehn Jahre …«
Dann öffnete sich das Tor und wir wurden gefesselt über den langen Korridor in den Schwurgerichtssaal geführt. Links und rechts standen Menschen, Kopf an Kopf. Viele Studenten der Münchener Universität, Arbeiter, Soldaten. Wir gingen an ihnen vorbei. Kein böses Wort traf uns – nur Blicke voll tiefer Sympathie und voller Mitleid. Als erster betrat Schmorell den Saal, ihm folgte Prof. Huber und dann kamen wir anderen. – An der Tür sah ich meine Mutter stehen. Ich konnte ihr, obwohl gefesselt, die Hände drücken und ihr, der man soeben ihren ältesten Sohn und ihre Schwiegertochter auf so grausame Weise ermordet hatte, sagen: »Ich denke an Euch alle.«
Im Gerichtssaal wurde neben uns je ein Schupo gesetzt, die Verhandlung war öffentlich, d.h. es durften allerdings nur Gestapo-Agenten, hohe Offiziere und Parteifunktionäre daran teilnehmen. Zwei kommandierende Generale saßen mit ihren Stäben im Saal, der Oberbürgermeister von München, Fiehler, der stellvertretende Gauleiter usw. Ihre Haltung war der Haltung des Publikums draußen auf dem Korridor genau entgegengesetzt. Die braunen Parteibonzen wären am liebsten aufgesprungen, um uns zusammenzuschlagen. Weniges später öffnete sich die Tür hinter dem Verhandlungstisch und der Gerichtshof erschien. An der Spitze, in blutrotem Ornat, mit Gold verziert, Freisler. Es folgten: Landgerichtsdirektor Stier, SS -Gruppenführer und Generalleutnant der SS Breithaupt, SA -Gruppenführer Bunge, SA -Gruppenführer und
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