Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Weiße Rose

Die Weiße Rose

Titel: Die Weiße Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Scholl
Vom Netzwerk:
Staatssekretär Köglmaier. Der erste Staatsanwalt Bischoff nahm an seinem Tisch Platz – später wurde er vom Oberreichsanwalt des Volksgerichtshofes Lauds abgelöst. In hämisch-pathetischer Weise verlas Freisler die einzelnen Anklagepunkte. Als die Flugblätter verlesen wurden, wuchs die feindliche Erregung im Saal und nahm bedrohliche Formen an. Sofort nach der Verlesung sprang der Wahlverteidiger von Prof. Huber auf, nahm stramme Haltung an, grüßte mit »Heil Hitler« und erklärte mit großem Pathos: »Herr Präsident! Hoher Gerichtshof! Da ich erst jetzt Kenntnis von dem Inhalt der Flugblätter erhalten habe, sehe ich mich als deutscher Mensch und Rechtswahrer des Deutschen Reiches außer Stande, ein solch ungeheuerliches Verbrechen zu verteidigen. Ich bitte den hohen Gerichtshof, mich von meiner Verteidigung zu entbinden und die angeführten Gründe zu würdigen.« Eine hämische Stille entstand im Saal. Mit breitem, schmierigem Grinsen antwortete Freisler: »Ihre Haltung ist ausgezeichnet. Wir haben volles Verständnis für Ihre Einstellung und entbinden Sie von Ihrer Pflicht als Verteidiger.« Mit einem schneidigen »Heil Hitler« verließ der »Rechtswahrer« des Nazireiches den Saal. (Rechtsanwalt Dr. Deppisch, München, Leopoldstr. 56 .)
    Prof. Huber, neben dem ich saß, war auf das Tiefste erschüttert. Aber noch eine Enttäuschung traf Prof. Huber. Er hatte als Entlastungszeugen den Münchener Historiker, seinen Kollegen Geh. Rat Alexander von Müller, benannt. Von Müller ließ sich entschuldigen, er sei dienstlich von München abwesend. –
    Als erster wurde Alexander Schmorell vor die Schranken gerufen. Mit bestialischer Rhetorik überschüttete Freisler den jungen Studenten, eine Beschimpfung jagte die andere – brüllend, tobend, so daß Schmorell überhaupt nicht zu Worte kam. Jedes Mal, wenn er nur ansetzte, seine Handlungen zu erklären, zu verteidigen, schnitt ihm Freisler kreischend das Wort ab. Als Freisler sich ausgetobt hatte, stellte er die Frage: »Was haben Sie denn an der Front getan?« Schmorell antwortete: »Ich habe mich um die Verwundeten gekümmert, wie es meine Pflicht als angehender Arzt ist.« Darauf Freisler: »Ja, und wenn die Russen kamen, haben Sie nicht auf die Russen geschossen?« – »Genausowenig wie ich auf Deutsche schieße, schieße ich auf Russen!« Eine Flut von Schimpfworten ergoß sich über Schmorell: »Seht Euch diesen Verräter an! Das will ein deutscher Wachtmeister sein! Er fällt dem Vaterland in den Rücken!« Später erklärte Schmorell, er habe als Rekrut seinen Vorgesetzten davon in Kenntnis gesetzt, daß er den Eid auf den Führer nicht bereit sei abzulegen, da er Deutsch-Russe sei. Freisler wischte den Einwand hinweg.
    Die Verhandlungstechnik und den zur Verhandlung stehenden Fall beherrschte Freisler durchaus, und jeder von uns mußte sich sehr anstrengen, mit dem Höllentempo mitzukommen. Die Eitelkeit Freislers und sein Sadismus machten den Gerichtshof zur reinen Propagandatribüne, immer wieder flocht er kreischend politische Platitüden ein.
    Prof. Huber, der als nächster vorgerufen wurde, wurde in hämischer Weise mitgeteilt, die Universität habe ihm seinen Professorenrang und seinen Doktortitel aberkannt, weil er ein Verführer der deutschen Jugend sei. Als Prof. Huber antwortete, seine Kollegs seien immer überfüllt gewesen, und er habe es als Hochschullehrer und Philosoph als seine Pflicht angesehen, den jungen Menschen bei ihren inneren Kämpfen beizustehen, erklärte Freisler zynisch lächelnd: »Sie halten sich wohl für einen neuen Fichte?«
    Prof. Huber, der seit seiner Geburt an einem leichten Sprachfehler litt, hielt sich mit aller Kraft aufrecht und versuchte, stimmlich gegen dieses Meer von Unflat anzukämpfen. Er bebte am ganzen Körper, jedoch nicht aus Furcht oder Angst, sondern vor tiefster Erregung und Empörung über diese unwürdigen Zustände.
    Als Dritter folgte Willi Graf – ruhig und gelassen. Der Ton Freislers mäßigte sich etwas. Freisler sagte: »Sie haben ja der Gestapo schöne Lügengeschichten aufgebunden und um ein Haar wären Sie herausgekommen. Aber …« und jetzt nahezu mit einem verbindlichen Lächeln, als ob er ein Spiel gewonnen hätte »… wir sind doch schlauer als Sie!«
    Die nun folgenden Verhandlungen gegen die anderen Angeklagten standen auf der Basis der Selbstverteidigung, denn bei diesen Angeklagten bestand die Aussicht mit dem Leben davonzukommen, und es war ein

Weitere Kostenlose Bücher