Die weiße Schmuggler-Jacht
obersten Stockwerk
verfügte die Rückfront über eine Dachterrasse. Kleinwüchsige Palmen ragten über
die Brüstung. Die Dachterrasse selbst war nicht erleuchtet. Das Licht kam aus
einem Raum, dessen Außentür geöffnet war.
Stimmen. Es schienen mehrere Leute zu
sein. Was geredet wurde, ließ sich hier unten nicht verstehen. Aber Tim spitzte
die Ohren und schnappte einzelne Brocken auf. Tatsächlich, die sprachen
englisch.
„Ich glaube, die sprechen englisch“,
flüsterte Karl, dessen Ohren weitaus besser sind als seine Augen.
„Aber nicht laut genug!“ bemängelte
Klößchen.
Tim blickte hinauf.
Dicht an der Hauswand strebte der
schenkeldicke Stamm einer Palme himmelwärts. Allerdings hatte man ihr Böses
angetan, nämlich sie enthauptet. Ihr fehlte die Blätterkrone. Immerhin reichte
der kopflose Stamm bis zur Dachterrasse. Wahrscheinlich hatten dort die langen
Blätter gestört, und Dragoumi hatte den Einsatz der Säge befohlen. Auf der
Schnittfläche war ein rundes Brett angebracht — etwa so groß, daß Klößchen
darauf hätte sitzen können.
„Versteckt euch hinter den Büschen“,
sagte Tim. „Ich klettere hoch. Ist nicht schwer. Ich will sehen, wer da sülzt.
Vielleicht wird gesagt, wo sich Pfote befindet.“
„Ist aber gefährlich“, meinte Klößchen.
„Wenn einer auf die Terrasse tritt, sieht er dich.“
„Das riskiere ich.“
Er öffnete seinen Gürtel und zog ihn
aus den Schlaufen der Jeans. Der Gürtel war breit und aus widerstandsfähigem
Leder. Er legte ihn um den Palmenstamm und faßte die Enden. Wenn er sich
zurücklehnte, trug der Gürtel sein Gewicht. Er setzte die Füße an den Stamm und
begann, sich hinauf zu arbeiten. Zoll um Zoll ruckte er den Gürtel aufwärts. Er
hatte die Methode erprobt und beherrschte sie so sicher wie den nächtlichen
Kletterseil-Abstieg aus dem Internat. Kokosnuß-Pflücker haben diese Baum-Begehung
erfunden.
Der Gürtel schabte. Aber nur Tim hörte
das. Geschmeidig erklomm er den Stamm. Jetzt hatte er die Dachterrasse
erreicht, war in Höhe der Brüstung. Beinahe wäre er mit dem Kopf gegen das
runde Brett gestoßen.
Er verhielt, klammerte sich mit den
Beinen fest und schlang einen Arm um den Stamm. Den Gürtel in die Tasche zu stecken,
mißlang. Also hängte er ihn um den Hals. Mit der freien Hand befühlte er das
Brett über sich. Es war kein Brett. Es war... tatsächlich, ein Messingtablett.
Es saß fest auf dem Stamm, war offenbar festgeschraubt.
Vorsichtig schob er den Kopf über die
Brüstung. Zu soviel Vorsicht bestand kein Grund. Zwar war die Tür weit
geöffnet, aber auf der Terrasse boten sich Verstecke zuhauf. Alles was Blätter
hatte und in großen Kübeln gedieh, verdichtete sich hier zu einer üppigen
Vegetation (Pflanzenwelt): Kakteen, Palmen, Liliengewächse, Ekelblume,
Zyperngras und kleine Zypressen.
Durch Blätter und Zweige reichte der
Blick in den Raum, der weiß getüncht war und ausgestattet mit dunklen
Rohrmöbeln. Bilder schmückten die Wände, und Dragoumi, der fette Ganove, saß
breitbeinig in einem Sessel.
Von den andern sah Tim noch nichts.
Aber er hatte zwei bereits an der Stimme erkannt: Dietmar und Kathrin Uhl.
Donnerwetter! Hatten die sich beeilt.
Offenbar waren sie nach der Bedrohung durch die Jungs gar nicht in ihr
Hotelzimmer gebohrt, sondern gleich hierher.
Deshalb wird englisch palavert, dachte
Tim. Mein Glück! Von neugriechischem Gesülze verstünde ich rein gar nichts. Er
schwang ein Bein über die Brüstung, wälzte sich hinterher, fiel bäuchlings
hinter ein wildwucherndes Urwaldkraut und geriet mit nacktem Unterarm an einen
Kaktus. Beinahe hätte er geflucht wie ein deutscher Tourist. Statt dessen biß
er die Zähne zusammen und hatte dann minutenlang zu tun, die Stacheln aus der
Haut zu ziehen. Aber dabei schlängelte er sich vorwärts — bis zur richtigen
Position.
Jetzt sah er sie alle, die sich um den
Cocktailtisch gruppiert hatten. Es nahm ihm den Atem.
Über Dragoumi und die Uhls wunderte er
sich nicht. Das waren sozusagen alte Bekannte. Aber auf der Couch saß ein
engumschlungenes, verliebtes Pärchen.
Tim kannte die Frau. Es war Sadra Leofóros.
Bei Sapphó und Sokrátes (Sapphó =
gr. Dichterin um 600 v. Chr., Sokrátes = Philosoph, 469-399)! wunderte er sich. Ist denn in Rhodos die gesamte Unterwelt miteinander verwandt
oder verschwägert? Daß der Leofóros kein Ehrenmann ist, hätten wir uns beinahe
gedacht. Aber die schöne Sadra! Hängt hier rum beim Dragoumi, weiß
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